nd-aktuell.de / 27.04.2010 / Politik / Seite 20

Sherpas bergen Everest-Tote

Expedition soll auch Müll vom höchsten Berg der Welt räumen

Daniel Kestenholz, Bangkok

Jedes Jahr bezwingen rund 500 Bergsteiger den Gipfel des Mount Everest. Was zu einem hochkommerziellen Geschäft angewachsen ist, bei dem schwächere Kletterer von Sherpas förmlich ans Ziel getragen werden, fordert weiter Menschenleben. Im schwarzen Jahr 1996 starben am Berg der Berge 15 Menschen – acht innerhalb von 36 Stunden. Nach Schätzungen liegen in der Todeszone über 8000 Metern die tiefgefrorenen Leichen von rund 150 verstorbenen Bergsteigern im ewigen Eis.

Eine 31-köpfige Sherpa-Gruppe unter Namgyal Sherpa, der den Everest bereits siebenmal bezwang, startet Ende April eine 40-tägige Expedition, um mindestens fünf Leichen zu bergen – und Müll vom Everest zu räumen.

Die Expedition will auch den 2006 verstorbenen Briten David Sharp bergen, an dem noch 40 Everest-Bezwinger vorbeizogen, bevor er an Erschöpfung starb. Auch den 2008 am Everest verstorbenen Schweizer Uwe Gianni Goltz will das Team zurückbringen – und endlich die Leiche von Everest-Pionier Andrew Irvine finden, was Klettergeschichte umschreiben könnte. 1999 hatte eine Expedition die Überreste von Irvines Seilpartner George Mallory gefunden. Beide waren beim Aufstieg 1924 zum letzten Mal einhundert Meter unterhalb des Gipfels gesehen worden.

Irvine hatte eine Kamera dabei. Wird diese gefunden, kann womöglich das Rätsel gelüftet werden, ob nicht Irvine und Mallory die ersten Bezwinger des Mount Everest waren oder ob diese Ehre tatsächlich Sir Edmund Hillary und Sherpa Tenzing Norgay gebührt, die den Gipfel 1953 erreichten.

Die Sherpas von Expeditionsleiter Namgyal haben spezielle Säcke dabei, in denen die geborgenen Toten über Schnee- und Eisfelder abgeseilt und über Gletscher bis zum Base Camp auf 5400 m Höhe getragen werden. Unterhalb des Camps sollen die Überreste von Goltz eingeäschert werden. Seine Familie gab die Einwilligung dazu. Namgyal spricht von drei offen im Eisschnee liegenden Leichen, an denen Everest-Bezwinger beim Aufstieg vorbeiziehen müssen. Je nach Saison und Schneelage gibt das Eis neue Verschollene her – wobei die Klimaerwärmung beim so- genannten South Col einen wahren Müllberg freigegeben habe. South Col, der auch der höchstgelegene Abfallhaufen der Welt genannt wird, ist ein Schlüsselpunkt für den Aufstieg zum Gipfel, wo sich Expeditionen früher leerer Sauerstoffflaschen, alter Zelte, Seile und sonstigem Abfall entledigten.

Heute haben Expeditionen bei Nepals Behörden einen größeren Betrag zu hinterlegen, den sie nur zurückerhalten, wenn sie ihren Abfall vom Berg zurückbringen. Namgyal betonte: »Jetzt wird zum ersten Mal in der Todeszone sauber gemacht. Eine sehr gefährliche Arbeit.« Der Sauerstoffgehalt beträgt ein Drittel von jenem auf dem Meeresspiegel. Bislang wagte es noch niemand, Tote aus der Todeszone zu bergen. Im Grunde ist der Mount Everest der höchstgelegene Friedhof der Welt.