nd-aktuell.de / 29.04.2010 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 8

Ökostadt mit Vorbildcharakter

Städteplaner Steffen Lehmann ist fasziniert von den Möglichkeiten chinesischer Projekte

Dr.-Ing. Steffen Lehmann ist Professor an der Architekturschule der Universität Newcastle in Australien und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Nachhaltige Stadtentwicklung in Asien und der Pazifikregion. In den 90er Jahren hat er unter anderem an der Gestaltung des Potsdamer Platzes und des Hackeschen Markts sowie der französischen Botschaft in Berlin mitgewirkt.
Ökostadt mit Vorbildcharakter

ND: Schwerpunktthema der Weltausstellung in Schanghai ist die nachhaltige Stadtentwicklung. Werden Chinas Städte grün?
Lehmann: In China gibt es bizarre Situationen, in denen die besten Projekte neben den schmutzigsten Kraftwerken stehen. Es gibt ein Nebeneinander von durchdachten, optimalen Objekten und etwas, das alles wieder kaputt macht. Die Geschwindigkeit, mit der in China Projekte umgesetzt werden, macht es für Stadtplaner wie mich faszinierend mitzuarbeiten.

Welche Projekte faszinieren Sie?
Es gibt eine ganze Reihe solcher Projekte. Dazu gehört die neue Ökostadt in Wanzhuang in der Hebei-Provinz zwischen Tijanjin und Peking. Hier werden jetzt Herangehensweisen erprobt, die für China ganz neu sind. Es gibt eine Partizipation der Bewohner einschließlich eines Beirats von Anwohnern und Versammlungen. In 15 Dörfern in und um Wanzhuang leben schon 100 000 Menschen, die angehört und eingebunden werden sollen. Der ursprüngliche Plan war sehr rigide, nun wurde er der Topographie angepasst. Es geht bergauf und bergab, es gibt Bäche und Flüsse, es gibt Obstbaumplantagen. Die Dörfer sollen ihre Identität im Wachstum nicht verlieren. Bis 2030 sollen sie zu einer Stadt mit 400 000 Menschen verschmelzen.

Was soll in Wanzhuang erreicht werden?
Ein gesundes Nebeneinander von Arbeit und Leben. Die Stadt soll auch besser an die nächste größere Stadt, Langfan, angebunden werden. Dazu wird eine Straßenbahnverbindung gebaut. Es gibt in China 80 Projekte, die Ökostadt genannt werden. Nicht überall ist auch Öko drin, wenn Öko draufsteht. Ein anderes Projekt, Tjianjin, hat China schon vor fünf Jahren zusammen mit Singapur auf den Weg gebracht. Allerdings wird da die Energieversorgung durch ein Kohlekraftwerk gewährleistet. Es wurde nicht geschafft, erneuerbare Energien zu nutzen. In Wanzhuang dagegen gibt es außer Sonne und Wind auch Energie aus Biomasse und Erdwärme.

In China drängen Millionen Menschen in die Stadt. Welchen Einfluss kann da eine verhältnismäßig kleine Stadt wie Wanzhuang haben?
Einen sehr großen. Wenn es in Wanzhuang funktioniert, kann im nächsten Schritt auf diese Weise vielleicht eine Stadt mit einer Million Einwohnern gebaut werden.

Woran ist Wanzhuangs Vorgänger Dongtan gescheitert?
Dongtan ist daran gescheitert, dass die Regierung beschlossen hat, die Insel nicht zu bebauen, sondern als Naturschutzgebiet auszuweisen. Keiner weint Dongtan eine Träne nach. Es war wahrscheinlich nicht der richtige Ort, eine Stadt zu bauen – auch wenn es im Umfeld von Schanghai eine stärkere Verstädterung braucht.

Aus der europäischen Perspektive gesehen: Wie ökologisch sind Chinas Ökostädte?
Natürlich werden in China Abstriche gemacht. Aber vergessen Sie nicht: China gibt seit einem Jahr mehr Geld für erneuerbare Energien aus als irgendein Land der Welt. Im Augenblick geben sie acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den öffentlichen Nahverkehr aus. Da werden Züge, Straßenbahnen, Bahnhöfe, Metros gebaut. Auch hierbei wird mehr gemacht als irgendwo sonst.

Fragen: Steffen Klatt