Gleiche Rechte für alle Kinder?

Pro Asyl zur Respektierung der UN-Kinderrechtskonvention / Heiko Kauffmann ist Mitbegründer, ehemaliger Sprecher und Vorstandsmitglied der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Gleiche Rechte für alle Kinder?

ND: Die Regierung hat die Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention beschlossen. Was sagt Pro Asyl dazu?
Kauffmann: Ein längst überfälliger Schritt ist vollzogen worden. Die Auseinandersetzung über die Rechte von Flüchtlingskindern ist eine schier unendliche Geschichte politischen Versagens und nicht eingelöster Versprechen. Es ist ein wirklicher Erfolg für Kinder- und Menschenrechtsverbände und alle, die sich für die uneingeschränkte Geltung der Kinderrechte in Deutschland eingesetzt haben. Jetzt müssen Taten folgen.

Eine schwarz-gelbe Regierung hat 1992 die Vorbehaltserklärung abgegeben und nimmt sie jetzt zurück. Haben dabei Ereignisse wie der Selbstmord eines nach eigenen Angaben 17-jährigen Georgiers in der Hamburger Abschiebehaft Anfang März dieses Jahres eine Rolle gespielt?
Die Absicht, den Vorbehalt zurückzunehmen, steht bereits im Koalitionsvertrag. Auch internationale Gremien wie der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes haben dies immer wieder angemahnt. Der Vorbehalt war der damaligen aggressiv-repressiven Abschreckungspolitik im Vorfeld der Demontage und Änderung des Artikels 16 im Jahr 1993 geschuldet. Sicherlich ist es ein wichtiges Signal, dass eine schwarz-gelbe Koalition wieder aufhebt, was sie damals verabschiedet hat.

Hat sich die Stimmung auch dadurch geändert, dass wegen des veränderten Asylrechts und der Verschiebung der EU-Außengrenzen gar nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen?
Die Abschreckungspolitik hat sich in den knapp 20 Jahren verlagert. Wir haben innen sicherlich eine größere Offenheit und Beweglichkeit der Politik. Aber nach außen ist die Abschreckungspolitik bekräftigt worden. Flüchtlingskinder gehören zu den Hauptleidtragenden einer verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik. Die Bundesrepublik Deutschland muss jetzt beweisen, wie zivilisiert, wie menschenrechts- und integrationsfreundlich sie wirklich ist.

In der »Süddeutschen Zeitung« war zu lesen, dass sich nach Ansicht des Innenministeriums in der Praxis nicht viel ändern wird.
Bisher hat die Vorbehaltserklärung eine Blockade auf der rechtlichen Ebene bewirkt. So sind 16-jährige verfahrensmündig, unterliegen dem Asylbewerberleistungsgesetz und einem faktischen Ausbildungs- und Arbeitsverbot. Sie können in Abschiebungshaft genommen und ohne Begleitung abgeschoben werden. Eine Menge an Regelungen im Aufenthalts- , im Asyl- und im Sozialrecht müssen jetzt entsprechend angepasst werden. Zum Beispiel müssen die Alterseinschätzungen mittels radiologischer Messungen gesetzlich untersagt werden. Änderungen zur Volljährigkeit, zum Asylverfahrensgesetz und zum Aufenthaltsgesetz sind nötig.

Die Rücknahme der Vorbehalte bedeutet, dass die Menschenwürde von Flüchtlingskindern nicht mehr auf aufenthaltsrechtliche Kategorien reduziert werden kann. Für sie gelten endlich die Prinzipien, die den Kern der Kinderrechtskonvention ausmachen – das Diskriminierungsverbot, der Vorrang des Kindeswohls, das Recht auf Leben und die bestmögliche Entwicklung und die Berücksichtigung des Kindeswillens.

Wenn die UN-Kinderrechtskonvention vollständig eingehalten wird, sind dann Flüchtlingskinder ausreichend geschützt?
Sie haben dann zumindest die gleichen Möglichkeiten und Entwicklungschancen wie deutsche Kinder. Diskriminierung beginnt immer da, wo eine Gruppe über weniger Rechte verfügt. Integration kann nur ohne Diskriminierung gelingen.

Fragen: Regina Stötzel

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