Die alten Kameraden diesmal unter sich?

Bundeswehr- und Wehrmachtssoldaten treffen sich wieder in Mittenwald

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 4 Min.
Der »Kameradenkreis der Gebirgstruppen« kommt am 9. Mai zum Hohen Brendten. Proteste dagegen wird es in diesem Jahr aus organisatorischen Gründen vermutlich nicht geben.

In der oberbayerischen Marktgemeinde Mittenwald hält man sich zurück, was den am 9. Mai bevorstehenden Feldgottesdienst und das Heldengedenken für die deutsche Wehrmacht auf dem Hausberg Hoher Brendten angeht. Weder Rathaus noch Kirchen kündigen heuer auf ihren Internetseiten das vom »Kameradenkreis der Gebirgstruppen« und Vertretern der Bundeswehr inszenierte Treffen an. Lediglich eine Zeitschrift des Gebirgsjäger-Vereins verweist auf den seit 1952 um diese Jahreszeit traditionellen Termin und macht darauf aufmerksam, dass man als Bundeswehrangehöriger oder Reservist dabei lediglich dann die Uniform tragen dürfe, wenn das zuvor im Landeskommando München genehmigt wurde.

So scheint es keineswegs, dass der Kameradenkreis jüngst die Weihe des Denkmals im kleinen Park vor der Mittenwalder Schule, das an die Tausenden Opfer der Gebirgsjäger während der Nazi-Feldzüge durch Europa erinnert, »innerlich bewegt« verfolgt hätte, wie das Oberst a. D. Manfred Benkel, der Kommandeur des Vereins, hernach verkündigte. Dabei hatte er sich auf die zu jener Stunde von Maurice Cling vorgetragenen Erinnerungen bezogen. Dessen Leidensweg begann als 15-jähriger französischer Junge jüdischer Herkunft in den Nazi-Vernichtungslagern Auschwitz und Dachau und endete in Mittenwald, als US-Soldaten ihn und andere auf dem Todesmarsch befreiten und eine Einheimische ihm Hilfe gab.

Nachdem er von den Einlassungen Benkels vernommen hatte, wies Cling im »Münchner Merkur« darauf hin, dass »jede Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern inakzeptabel« sei. Wehrmacht und SS hätten »Europa in Blut getaucht«, das müsse als Verbrechen anerkannt werden. Die »innere Bewegtheit« Benkels vertrage sich keineswegs mit der Feier auf dem Hohen Brendten. Dass man im Kameradenkreis seine Rede als Mahnung verstanden haben will, nannte Cling einen »schockierenden Versuch der Vereinnahmung der Opfer durch die Täter und eine unglaubliche Entstellung des Gedenkens an die Opfer«. Maurice Cling kündigte deshalb an, weiterhin Aktionen des »Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege« zu unterstützen.

Das tut auch Aktionskünstler Wolfram P. Kastner. Er hatte voriges Jahr mit anderen eine Mittenwalder Kapelle blockiert, in der eine Galerie originaler Todesanzeigen einheimischer Gebirgsjäger von anno dazumal hing, die als Helden hochgelobt wurden. Er und andere waren festgenommen worden. Ein Münchener Gericht hatte dies vor kurzem für rechtswidrig erklärt. Selbstverständlich halte er es weiter »für sinnvoll und erforderlich, gegen diese Traditionspflege etwas zu unternehmen«, sagte er dem ND. Jedes militärische Gepränge diene der systematischen Kriegsvorbereitung und der Einstimmung der Bevölkerung darauf. Die furchtbaren mörderischen Traditionen gerade der Gebirgsjäger seien nicht zum Feiern geeignet, »sondern eher zu einer Mahnung gegen militärisch organisierten Mord und Totschlag«.

Wird Kastner demnächst eine weitere Kunstaktion wider den braunen Geist in Mittenwald starten? »Derzeit plane ich nichts Konkretes«, meinte er. Vielmehr meide er »diese dumpf-bayerisch-militärische Region nach Möglichkeit«. Aber vielleicht ergebe sich demnächst noch etwas.

Derweil rätselt man in Mittenwalds Rathaus und im Kameradenkreis, ob es am Wochenende wieder Proteste des »Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege« gegen das Treffen auf dem Hohen Brendten geben wird. Nach ND-Informationen werden Sprecher und jene, die mit den gewählten Vertretern des Ortes die würdige Weihe des Opferdenkmals ausgehandelt hatten, diesmal nicht anreisen. Wie die »Angreifbare Traditionspflege/Neue Folge« – ein Teil des AK, der seine Mission noch nicht als erfüllt ansieht – ND wissen ließ, habe man in Mittenwald nach acht Jahren des Protestes begonnen, öffentlich über die Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger zu sprechen. Vorbei sei die Zeit, »in der Hakenkreuzorden ganz ungeniert durch Mittenwald getragen wurden«, heißt es. Man sehe jedoch keinen politischen Grund, die Kampagne abzubrechen. Denn der Stein des Anstoßes seien die Kriegsverbrechertreffen auf dem Hohen Brendten gewesen – und jene Täter, die bis heute ohne Strafe blieben.

Heuer wird aber entgegen vorheriger Ankündigungen auch der »AK/Neue Folge« nicht aus NRW und anderswo anreisen, sondern eine Befreiungstag-Aktion daheim starten. Das liegt vor allem daran, dass die bayerischen Antifa-Gruppen derzeit alle Hände voll zu tun haben, sämtliches Organisatorische unter einen Hut zu bringen, um sich Neonazis bei dem für den Vortag angekündigten Fackelmarsch in München entgegenzustellen. Werden die alten Gebirgsjäger und die Bundeswehr-Chargen auf dem Hohen Brendten diesmal unter sich bleiben dürfen?

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