nd-aktuell.de / 15.05.2010 / Kultur / Seite 28

Zack – und raus!

»Mensch, ärgere dich nicht!«: Stress und Egalität

Roland Mischke
»Mensch, ärgere dich nicht« gilt mit bisher 70 Millionen Exemplaren als das Brettspiel mit den höchsten Verkaufszahlen weltweit. Dabei hat es sich seit seiner Erfindung vor hundert Jahren nicht verändert.
Zack – und raus!

Der eigentliche Sinn des Spiels besteht darin, Mitspieler zu ärgern, zu piesacken und bis an den Rand der Weißglut zu treiben. Genau das Gegenteil dessen, was der Spieltitel empfiehlt. Sagt dann jemand: »Mensch, ärgere dich doch nicht!«, dann ist das oft der Zeitpunkt, an dem das Fass überläuft. Es fließen Tränen, ein Stuhl knallt, eine Faust hämmert auf den Tisch.

Anfangs wollte es niemand. Der Münchner Spielefabrikant Josef Friedrich Schmidt hatte es 1905 für seine Kinder erfunden. Erst fünf Jahre später, 1910, kam die erste handgemachte Version auf den Markt. Am meisten wird es nach wie vor unter Deutschen gespielt. Pro Jahr verkauft Schmidt-Spiele den schreiend roten Karton rund 10 000 Mal, er kostet knapp zehn Euro.

Dieses Spiel ist die beste Möglichkeit, den Blutdruck eines anderen in die Höhe zu treiben, ihn hereinzulegen, zu grölen vor Begeisterung oder still Schadenfreude zu empfinden. Vier bis sechs Personen jeden Alters können beteiligt sein. Das Spiel zerreißt Familien und befriedet sie wieder. In Vereinen, auf Betriebsausflügen oder im Urlaub sorgt es für rote Ohren.

Gesellschaftlich ist es von Brisanz, weil es egalisiert. Der Klügere, der Reiche, der Mächtige – zack, du bist raus! Das macht Spaß, sorgt für eine gewisse Gleichheitsgerechtigkeit und lässt einen bei günstigen Umständen eine Versöhnung mit dem eigenen Schicksal in Betracht ziehen. Und auch das erscheint sehr deutsch: Für den, der rausgeflogen ist, zeigt man Mitleid. Aber am Boden sollte er schon liegen, zerknirscht sein, ein Verlierer eben.

Das Spiel geht zurück auf das indische »Pachisi« und das in England erfundene »Ludo«. Beide Vorgänger-Varianten spielen längst keine Rolle mehr, denn die gewaltigste Innovation von »Mensch, ärgere dich nicht« war die Rausschmeißerfunktion. Die Aufmachung ist bis heute so simpel, dass versierte Spieleliebhaber es kaum fassen können. Ein lächerliches Pappquadrat als »Brett«, unästhetisch, aber praktisch, weil einklappbar. Ein paar Holz- oder Plastikfiguren und Würfel. Dazu die einfachen Spielregeln. Würfeln, ranrobben an den Gegner – und raus!