nd-aktuell.de / 18.05.2010 / Politik / Seite 6

Die Ost-Karte stach auf dem Parteitag nicht

Missmut über Bedeutungsverlust bei der Wahl zum Vorstand der Linkspartei

Uwe Kalbe
Der Parteitag in Rostock ist zu Ende. Dass der Führungswechsel in der Linkspartei nach dem Abschied von Lothar Bisky und Oskar Lafontaine schon gelungen wäre, wäre eine verfrühte Behauptung. Die Wahl des neuen Vorstands selbst bot vielen Mitgliedern Gelegenheit zu zweifeln.
Zeichnung: Rainer Hachfeld
Zeichnung: Rainer Hachfeld

Katja Kipping zeigte sich irritiert, Jan Korte fand »kein Verständnis«, Steffen Bockhahn sprach gegenüber der FAZ von einem schlechten Start für die neue Führung. Was sie alle, die sächsische Bundestagsfraktions-Vizechefin, den Bundestagsabgeordneten aus Niedersachsen mit heutiger Basis in Sachsen-Anhalt und den Landesvorsitzenden von Mecklenburg-Vorpommern, aufbringt, ist die Missgunst, die sie auf dem nach außen hin harmonischen Parteitag der LINKEN ausgemacht haben. Die Missgunst der West-Landesverbände, die Missgunst der vermeintlich radikaleren linken Strömungen, organisiert zum Beispiel in der Antikapitalistischen LINKEN. Diesen schreiben sie zu, dass die Kandidaten der vor allem im Osten versammelten »Realos« für den erweiterten Vorstand in Rostock erstmal durchfielen. Die Stimmung war bei Teilen der Parteitagsdelegierten in den Keller gerutscht, als prominente Kandidaten wie Rosemarie Hein, Matthias Höhn oder Wolfgang Methling im ersten Wahlgang scheiterten.

In den Augen ihrer Anhänger war dies ein Fauxpas. Man opfere die Kompetenzen der Partei, war am Rande zu vernehmen. Erst recht nach dem Brief, den die ostdeutschen Landesvorsitzenden an ihre West-Genossen geschrieben hatten. In ihm hatten sie gegenseitige Unterstützung der Kandidaten vorgeschlagen, waren aber auf keine Gegenliebe gestoßen. Es fehle eine inhaltliche Begründung, hatte es unter anderem geheißen.

Die »Gegenseite West« kann wenig Verständnis für die Aufregung über den Bedeutungsverlust der Ost-LINKEN aufbringen. Eine Wahl mit geschlossenen Augen und »en bloc« komme in einer Partei wie dieser nicht in Frage, hieß es. Außerdem seien Personen zur Wahl angetreten, nicht Strömungen. Wenngleich letztere Bemerkung für den Beobachter von Parteitagen der LINKEN nicht ganz aufrichtig klingt – richtig ist, dass im Ergebnis jede Aufregung als übertrieben erscheint. Nicht nur an der Parteispitze ist dem Proporz zwischen Geschlecht, geografischer und Strömungszugehörigkeit mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sowie mit den Bundesgeschäftsführern und Parteibildungsbeauftragten streng Rechnung getragen worden. Auch im erweiterten Vorstand finden sich Vertreter aller Strömungen, ebenso sind Ost und West relativ ausgeglichen vertreten. Nicht nur Wunschkandidaten der »Reformer«, sondern auch Vertreter der gemeinhin als Parteilinke bezeichneten Teile der Partei verfehlten den Erfolg im ersten Wahlgang, wie zum Beispiel der niedersächsische Landesvorsitzende Diether Dehm. Auch die These, die »Reformer« aus dem Osten seien mittlerweile dem guten Willen der Gegenseite ausgeliefert, trägt nicht weit. Laut Delegiertenschlüssel verfügen die Ost-Länder – nicht gerechnet die Mandate für Jugendverband und Zusammenschlüsse – über 278 von 500 Mandaten. Das ist die Mehrheit. Das Wochenende liefert einen Hinweis darauf, dass die Konfliktlinien nicht zuerst zwischen Ost und West verlaufen.