Wettlauf mit der chemischen Zündung

Weniger Geld für die Suche nach Bomben vorhanden / Bundesland ist am stärksten belastet

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die Kampfmittelbeseitigung kann das Land Brandenburg im laufenden Jahr sechs Millionen Euro erübrigen. Ziehe man bestimmte Rücklagen noch hinzu, »werden wir neun Millionen Euro dafür einsetzen können«, erklärt Innenminister Rainer Speer (SPD).

Die Landtagsabgeordnete Gerrit Große (LINKE) hatte gemeint, dass 25 Millionen Euro allein für die Beräumung im Raum Oranienburg zur Verfügung stehen müssten. Es gelte allein dort noch rund 350 Bomben mit chemischem Langzeitzünder zu bergen. Große berief sich dabei auf einen Abteilungsleiter des Innenministeriums.

Speer stellte daraufhin klar, dass ein Abteilungsleiter über die Höhe dieses Postens keine Entscheidungsgewalt besitzt. Diese Summen »seien im Haushalt nicht drin«. Niemand wisse, »wie viele Bomben mit chemischem Langzeitzünder dort liegen«. Man müsse aber von einer »hohen Zahl« ausgehen.

Als Problem nannte Speer, dass vor 1991 keine Dokumentation über Bombenlagerung, Bombenfunde und Bombenentschärfung angefertigt worden sei. Erst für die Zeit danach »wissen wir, wo vernünftig gesucht, entschärft und gesprengt wurde«.

Zwar liege der Schwerpunkt der Bombenbeseitigung tatsächlich in Oranienburg und dort würden die Mittel auch konzentriert eingesetzt, doch sei die Kampfmittelbeseitigung im gesamten Land ein Thema, ergänzte Speer. Das ganze Land sei durch Kriegsmaterial kontaminiert. Das gelte besonders für die Seelower Höhen und das Land an der Oder.

Die Bomben mit dem gefährlichen chemischen Zeitzünder seien aber im Wesentlichen nur in Oranienburg anzutreffen. »Niemand weiß, ob und wann sie im Zweifelsfall selbst hochgehen.« Hinzu komme, dass große Bomben auch »wandern«, das heißt ihren Standort im Erdreich verändern.

Speer erinnerte daran, dass es vor allem eine kommunale Aufgabe, also die der Stadt Oranienburg ist, mit diesem Problem fertig zu werden. Eine Gefährdungsanalyse müsste vor Ort vorgenommen werden. »Wir begleiten dies mit dem Munitionsbergungsdienst.« »Zum Glück« sei kürzlich eine Methode getestet worden, mit der relativ gefahrlos die Bomben entschärft werden können und bei der auf eine Sprengung verzichtet werden könne.

Offenbar steckt auch 65 Jahre nach Kriegsende die Blindgängersuche quasi noch in den Anfängen. Nicht einmal die Hälfte aller Blindgänger-Einschlagsstellen ist bisher überprüft worden. Überhaupt möglich wurde die Ortung durch Fotografien, die britische und US-amerikanische Bomber von ihren Abwurfserien selbst angefertigt hatten.

Zwischen 1991 und 2006 wurden 130 Sprengbomben geborgen, davon 71 mit intakten chemischen Langzeitzündern. Bomben dieser Art detonieren auch ohne Fremdeinwirkung irgendwann von selbst. Seit 1991 hat es allein in Oranienburg zwei Selbstexplosionen gegeben. 1994 explodierte ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg in Berlin, wobei es Tote und Verletzte zu beklagen gab. Die Suche nach Bomben müsste daher aufgrund der zunehmenden Gefährdung dringend beschleunigt werden.

Allein in Oranienburg dauert die Blindgängersuche noch mindestens 40 bis 50 Jahre, sind sich Experten sicher. Landesweit werden sich noch Generationen mit der Kampfmittelberäumung beschäftigen müssen. Kein Bundesland ist von dem Problem stärker betroffen als Brandenburg. Pro Jahr werden hier rund 1000 Hektar untersucht und von Kampfmitteln frei gemacht. Rund 400 000 Hektar gelten heute noch als belastet. Die Suche nach Waffen, Waffenteilen und Munition setzte direkt nach Kriegsende ein und wird seit 1990 mit modernster Technik fortgeführt. Innerhalb von 41 brandenburgischen Städten liegen Flächen, wo noch Munition liegen könnte.

Vergeblich hat sich Brandenburg in der Vergangenheit dafür eingesetzt, den Bund stärker finanziell heranzuziehen. Der Bund sollte nach Auffassung Brandenburgs künftig nicht nur Bomben und Munitionsteile deutscher Herkunft beseitigen lassen, sondern sich auch für das Auffindung und die Entsorgung von Munition und Waffen der Alliierten zuständig erklären.

Aufwendungen für den Munitionsbergungsdienst oder private Bergungsfirmen werden nach derzeitiger Rechtslage vom Land getragen. Folgekosten wie den Einsatz der Feuerwehr und Absperrungen übernehmen die Kommunen. Für betroffene Bürger entstehen Kosten bei der Suche nach Kampfmitteln auf Baugrundstücken. Für Baumaßnahmen, die der Bürger veranlasst, um die Bergung zu ermöglichen, muss er mit seinem privaten Vermögen haften.

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