Lebenskeim aus der Retorte

US-Forscher »erschafft« Bakterium mit künstlichem Erbgut

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Er zählt zu den umstrittensten Wissenschaftlern der Gegenwart: der US-amerikanische Biochemiker J. Craig Venter, der 2001 durch die Sequenzierung des Humangenoms weltweit für Furore gesorgt hatte. Aber auch danach gelangen ihm spektakuläre Durchbrüche in der Genforschung: 2003 baute er erstmals ein Virus nach, 2008 stellte er auf chemischem Wege ein komplettes Genom her. Und obwohl Kritiker seitdem die Befürchtung äußern, dass die aus dem Labor stammenden genetischen Artefakte letztlich zum Bau neuer biologischer Waffen dienen könnten, hat der 63-jährige Venter jetzt nachgelegt.

An seinem Privatinstitut in Rockville, Maryland, ist es einer Gruppe von Forschern gelungen, ein künstlich erzeugtes Genom des Bakteriums »Mycoplasma mycoides« in ein Bakterium der Art »Mycoplasma capricolum« einzuschleusen. Der so veränderte Einzeller überlebte, teilte sich und gab die neue Erbinformation an seine Nachkommen weiter. Es wäre nun gewiss überzogen, hier von künstlichem Leben zu sprechen, wie Venter es gelegentlich tut, denn die »Hardware« des neuen Bakteriums ist in der Natur entstanden. Gleichwohl kann man nicht umhin, die erstaunlichen experimentellen Fertigkeiten der US-Forscher zu würdigen.

»Wir besitzen jetzt ein machtvolles Instrument, um die Biologie nach unseren Wünschen neu zu formen«, erklärte Venter gegenüber der Presse und stellte eine Reihe von Anwendungen in Aussicht, die Menschen helfen könnten, einige der großen Umweltprobleme unserer Zeit zu lösen. Denkbar wäre beispielsweise die Entwicklung von Algen, die Kohlendioxid aufnehmen und so die Folgen des Treibhauseffekts mildern. Auch die Synthese von Zellen zur Reinigung von Wasser liege durchaus im Bereich des Möglichen, meint Venter, dessen Euphorie jedoch nicht von allen Wissenschaftlern geteilt wird.

»Die Auswirkungen einer Verbreitung synthetischer Gene oder Organismen auf die Umwelt lassen sich kaum abschätzen«, warnt etwa das unabhängige Umweltinstitut Testbiotech. So könnten künstliche Gene auch außerhalb des Labors fortexistieren und dabei die natürliche Genregulation ebenso umgehen wie evolutionäre Anpassungsmechanismen. Und sie könnten im Kontakt mit natürlichen Genen unerwünschte Eigenschaften entwickeln.

Das alles bliebe sicherlich ernsthaft zu bedenken. Nur: Keine noch so eindringliche Warnung hat es bisher vermocht, Wissenschaftler davon abzuhalten, »verbotenes Land« der Forschung zu betreten. Und daran wird sich vermutlich nichts ändern, solange die neuen Technologien ihren Schöpfern und Anwendern traumhafte Gewinne versprechen.

Die Zeiten, da ein Physiker wie Wilhelm Conrad Röntgen auf ein Patent für die von ihm entdeckten Strahlen verzichtete, um diese gleichsam in die Hände der gesamten Menschheit zu legen, scheinen endgültig vorüber. Und auch hier geht Venter mit schlechtem Beispiel voran: Bei seinem angeblichen Versuch, die Umwelt zu retten, arbeitet er ausgerechnet mit Ölkonzernen wie ExxonMobil und BP zusammen!

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