nd-aktuell.de / 29.05.2010 / Kultur / Seite 25

Gerettet dank seines Flötenspiels

Arn Chorn-Pond war Kindersoldat im Kambodscha Pol Pots

Arn Chorn-Pond, der ehemalige Kindersoldat, weiß auch heute noch die Flöte zu spielen.
Arn Chorn-Pond, der ehemalige Kindersoldat, weiß auch heute noch die Flöte zu spielen.

Von Robert Luchs, Phnom Penh

Arn Chorn-Pond kann den Blicken Vann Naths nicht ausweichen. Als einer von sieben Überlebenden des Foltergefängnisses Tuol Sleng hat der Maler Vann Nath in der ersten Reihe des Saals im Fremdspracheninstitut der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh Platz genommen, um sich die Geschichte des ehemaligen Kindersoldaten anzuhören. Vann Nath hat sie erlebt, die Zehn- bis Vierzehnjährigen, die jeden Befehl widerspruchslos ausführten.

Arn Chorn-Pond war sieben Jahre alt, als er in die Fänge der Männer Pol Pots geriet, unter deren Terrorherrschaft zwischen 1975 und 1979 fast zwei Millionen Kambodschaner ums Leben kamen. Er wurde in das Internierungslager Ek Phnom in der westkambodschanischen Provinz Battambang gebracht, wo er mit 700 anderen Kindern schuften musste, von morgens früh um 5 Uhr bis Mitternacht. Täglich starben Kinder – sie verhungerten oder erlagen ihren Krankheiten.

Er aber überlebte, doch um welchen Preis? Pol Pot und seine Kumpane witterten schon kurz nach der Machtübernahme im April 1975 überall Feinde, sogar in den eigenen Reihen. Und sie warfen ihre Tötungsmaschine an. Auch Kinder wurden gezwungen, zur Hacke oder zur Keule zu greifen. Wer sich weigerte, wurde auf der Stelle erschlagen.

»Ich erkannte schnell, dass ich umgebracht worden wäre, wenn ich die Befehle nicht ausgeführt hätte«, sagt Arn Chorn-Pond. So wurde er im Kindesalter zum Rädchen in der Tötungsmaschinerie. Die Armee Pol Pots bestand zum großen Teil aus jugendlichen Kämpfern, doch dass in großer Zahl auch Kinder rekrutiert wurden, war bisher wenig bekannt.

»Töten klang wie Kokosnüsse öffnen.« Der heute 44-Jährige kann das Schaudern in seiner Stimme nicht verbergen. Wie gebannt blicken mehrere hundert Zuhörer auf Arn Chorn-Pond. Er bewegt sich unruhig auf dem Podium hin und her, den Krama, den karierten Schal der Kambodschaner, lässig um den Hals geworfen. »Ich wusste nicht, wo meine Eltern sind«, sagt Chorn-Pond leise, »ganze Familien wurden ausgerottet. Jede Minute konnte über Leben oder Tod entscheiden.«

»In kleinen Gruppen wurden die Gefangenen an unseren Hütten vorbeigeführt und dann mit Äxten erschlagen.« Besonders sadistisch sei man mit den Frauen umgegangen, berichtet er. »Jagt sie und bringt mir ihre Leber«, riefen die Soldaten, während die Frauen schreiend um ihr Leben liefen. Für die entmenschten Jäger sei das Töten zu einem grausamen Spiel geworden. Chorn-Pond ringt mit den Worten, es ist zu spüren, wie ihn das Erlebte einholt und quält.

Vann Nath bestätigt, dass auch im Foltergefängnis Tuol Sleng Kinder eingesetzt waren. »Diese Kinder kannten keine Gnade, sie scheuten auch nicht davor zurück, ihre eigenen Eltern umzubringen.« Während Vann Nath dank seiner Malkunst – er musste Pol-Pot-Bilder malen – die Schrecken des Gefängnisses überlebte, war es bei Chorn-Pond das Flötenspiel, das seine Vorgesetzten gerne hörten und dem er sein Leben verdankt. Später gelang es ihm, in das be-nachbarte Thailand zu fliehen und in einem Flüchtlingslager unterzukommen. Der amerikanische Reverend Peter L. Pond kümmerte sich dort um ihn, nahm ihn mit in die USA und adoptierte ihn 1984.

Es dauerte zehn Jahre, bis Arn Chorn-Pond als junger Mann wieder kambodschanischen Boden betrat. Immer wieder, berichtet er, habe er diese Entscheidung aufgeschoben. Zu bedrückend war für ihn die Vorstellung, in das Land zurückzukehren, das ihn an die schrecklichen Ereignisse seiner Kindheit erinnerte. Heute sieht sich Arn Chorn-Pond, Mitbegründer der Organisation »Kinder des Krieges«, in der Rolle eines Friedensstifters und Gesprächspartners vor allen Dingen für die Jugend Kambodschas.

Wie viele Kindersoldaten es im Terrorregime Pol Pots gegeben hat, wird wohl nie genau festzustellen sein. Weltweit werden heute schätzungsweise 250 000 Minderjährige von Armeen und bewaffneten Gruppen als Kämpfer oder Arbeitskräfte missbraucht. Unter den seelischen und körper-lichen Folgen leiden sie oft ein Leben lang. Die Situation von Mädchen ist besonders grausam und entwürdigend, denn sie werden in den Rebellengruppen häufig Opfer sexueller Gewalt.