Sozialdemokraten sind »siegreiche Verlierer«

Mitte-Rechts-Bündnis sondiert nach Wahl Regierungsbildung in Prag

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.
Die mit Spannung erwarteten Parlamentswahlen in Tschechien endeten am Sonnabend mit einer Überraschung. Zwar wurden die Sozialdemokraten zur stärksten Partei, doch reichen die Wählerstimmen entgegen allen Prognosen kaum zur Bildung einer Linksregierung. CSSD-Chef Jiri Paroubek zog die Konsequenz: Der »siegreiche Verlierer«, so die Prager Presse, will zurücktreten.

Blau ist die Farbe der Bürgerlichen Demokratischen Partei (ODS), und mit einem blauen Auge sind die Konservativen noch einmal davongekommen. Strahlende Sieger sehen anders aus. Noch bei den letzten Parlamentswahlen erzielte die ODS deutlich mehr als 30 Prozent – wie auch die Sozialdemokraten. Die da jetzt in Prag miteinander um die Regierungsbildung verhandeln, wissen, dass sie vor allem ein Zweckbündnis schmieden. Die tschechische Wirtschaft nahm das Wahlergebnis jedenfalls mit Wohlgefallen auf; die Lobbyisten warteten bereits auf der ODS-Wahlparty auf den vermeintlich designierten Regierungschef Petr Necas.

Im künftigen Parlament würde eine prognostizierte Regierungskoalition aus ODS, der Partei TOP 09 des ehemaligen Außenministers Karel Schwarzenberg sowie der Bürgerbewegung Veci verejne (Öffentliche Angelegenheiten) über 118 der 200 Sitze verfügen. Eine solide Mehrheit, um konservative Politik durchsetzen zu können. Die ODS kam auf 20,2 Prozent, das sind 53 Sitze. Drittstärkste Kraft wurde TOP 09; die Partei, die für Tradition, Verantwortung und Wohlstand wirbt, erzielte 16,7 Prozent und damit 41 Sitze.

Für die CSSD werden die 22,1 Prozent der Wählerstimmen und 56 Parlamentssitze kaum für eine Regierungsbildung reichen. Als Wahlsieger erwarte man dennoch, von Präsident Vaclav Klaus als Erster mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden, sagte Ex-Finanzminister Bohuslav Sobotka. Necas nannte dies eine »Angelegenheit des Staatschefs«. Ein Versuch der CSSD sollte aber zeitlich begrenzt sein.

Die tschechischen Kommunisten – potenzieller Koalitionspartner der Sozialdemokraten – kamen auf 11,3 Prozent (26 Abgeordnete) und lagen vor der erstmals zu einer Parlamentswahl angetretenen Veci verejne des früheren Schriftstellers und Fernsehjournalisten Radek John (10,9 Prozent, 24 Sitze). Weder die Grünen noch die christdemokratische KDU-CSL schafften den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde und sind in nächster Zeit für die tschechische Politik bedeutungslos. Ebenso wenig konnten rechtspopulistische Parteien nennenswerte Wählerstimmen auf sich vereinigen.

Die Wahlbeteiligung lag bei nur 62,6 Prozent. Politikverdrossenheit sowie der zum Teil rüde geführte Wahlkampf hatten viele Tschechen abgehalten, zu den Urnen zu gehen. Ohne genauere Analysen bereits vorwegzunehmen, könnte dies auch die Sozialdemokraten den Sieg gekostet haben. Zwar war die Unterstützung für die Partei vor einem Jahr – als sie die ODS-Regierung unter Mirek Topolanek wegen anhaltender Skandale und vor allem ungeliebter Reformen im Gesundheits- und Wirtschaftsbereich stürzte – groß, doch konnten die sozialen Konzepte der CSSD letztlich nicht überzeugen. Zudem warnten vom Präsidenten bis hin zu den konservativen Medien alle davor, die Kommunisten wieder mit Regierungsverantwortung zu beauftragen.

Diese soll nun das konservative Lager tragen. Noch am Wahlabend nahm ODS-Chef Necas Kontakt zum früheren Außenminister und TOP-09-Vorsitzenden Schwarzenberg auf. Der Fürst als Königsmacher – eine Rolle, die der konservative, stets etwas antiquiert wirkende Schwarzenberg gern übernehmen dürfte. Beobachter gehen davon aus, dass er wieder die Rolle des Chefdiplomaten spielen werde. Radek John, Kopf der VV, sei für den Posten des Innenministers vorgesehen, hört man aus den Verhandlungsrunden, die am Sonntag fortgesetzt wurden.

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