nd-aktuell.de / 01.06.2010 / Kommentare / Seite 1

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Standpunkt von Gabriele Oertel

Gabriele Oertel

Eigentlich wollte die Koalition am kommenden Wochenende in Meseberg eine opulente Streichliste erarbeiten. Nun muss sie sich vielmehr hastig um das Stopfen eines Loches kümmern, das Bundespräsident Köhler gestern gerissen hat. Die Tatsache, dass er sowohl die Kanzlerin als auch ihren Vize erst kurz vor seinem sofort wirksamen Abgang informierte, deutet auf ein gestörtes Verhältnis zwischen Schloss Bellevue und Kanzleramt hin. Das Ex-Staatsoberhaupt – so dünnhäutig, kurzschlüssig oder kritikempfindlich er gestern auch gescholten wurde – hat der Regierungschefin mit beeindruckender Konsequenz die Brocken hingeschmissen. Wohl auch, weil sie ihm den Rückhalt versagte, nachdem er eine seit Jahren bekannte Wahrheit über das Verhältnis von Kriegen und Wirtschaftsinteressen offen ausgesprochen hatte. Merkel hatte mal wieder versucht, sich rauszuhalten, diesmal rächte es sich auf dem Fuße.

Fest steht, es wird immer einsamer um die Kanzlerin. Keine Woche nach der süffisanten Ankündigung des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, ihr demnächst fernab der politischen Bühne ins Handwerk pfuschen zu wollen, kommt Merkel ihr einstiger präsidialer Vorbote für eine konservative Koalition im Bund abhanden. All das dürfte das Dauerkriseln bei Schwarz-Gelb dramatisch verstärken. In 30 Tagen muss ein Nachfolgekandidat für Köhler gefunden werden. Mal sehen, wer bis dahin noch das Handtuch schmeißt.