ND: Die Bundesregierung schnürt gerade das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesregierung. Wie bewerten Sie das?
Behrsing: Wir erleben jetzt, was wir uns immer schon gedacht haben. Das Sparpaket findet ausschließlich zu Lasten von armen Menschen statt: Betroffen sind Sozialleistungsbezieher, Menschen mit ganz geringem Einkommen und junge Familien mit Kindern. Wir erleben nicht, dass bei den Reichen etwas angetastet wird. Und wenn, ist das minimal, was man da vor hat, das sind bislang nur vage Absichten.
Bislang wollte die Bundesregierung die Familien fördern. Wird jetzt alles anders?
Wenn man tatsächlich das Elterngeld reduziert, den Steuerfreibetrag reduziert, dann kann man nicht sagen, dass man hier noch Familien fördert. Ganz im Gegenteil, wenn es ums Sparen geht, sind Kinder unerwünscht.
Ist das die Fortsetzung der Klientel-Politik?
Das würden wir so sehen. Wenn man tatsächlich was anderes gewollt hätte, dann hätte man nur unsere Topverdiener vernünftig besteuern müssen. Würde man in Deutschland die Topverdiener so besteuern, wie das in dem Rest der westlichen OECD-Länder der Fall ist, würden 75 Milliarden Euro mehr reinkommen. Wir brauchen dringend eine Anhebung der Spitzensätze der Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und eine Vermögensteuer.
Wo sollte denn die Bundesregierung Ihrer Meinung nach sparen?
Eigentlich ist es nicht gerade intelligent, in der Krise zu sparen. Es wäre vernünftiger, wenn man sich auf der Staatsseite um Einnahmen bemühen würde. Setzt man den Rotstift an, werden immer Menschen davon betroffen sein. Man hätte sich aber beispielsweise das Konjunkturprogramm oder das Wirtschaftsbeschleunigungsgesetz schenken können. Das waren völlig unsinnige Maßnahmen.
Sie machen die Bundesregierung für die derzeitige Schuldenkrise verantwortlich. Warum?
Die Bundesregierungen verzichten seit 30 Jahren immer wieder auf Einnahmen, indem sie immer wieder Steuern senken. Aber die Steuern werden nicht bei den Leuten mit geringem Einkommen gesenkt. Im Gegenteil, die Steuern wurden immer wieder bei den Leuten, die ohnehin genug Geld haben, gesenkt. Genauso hätte man schon lange auf das Kapital, auf Finanztransaktionen oder auf Aktien Steuern erheben können. In Großbritannien ist es beispielsweise kein Problem, auf Aktien auch Steuern bezahlen zu müssen.
Glauben Sie, dass es ein breites Bündnis gegen die Sparpläne geben wird oder teilen doch viele die Meinung, dass gespart werden muss?
Wir würden uns ein solches Bündnis wünschen, sehen es aber nicht. Ich erlebe es im Moment noch nicht, dass die Gewerkschaften sich da bewegen. Sollte das Bündnis so aussehen wie es im vergangenen Jahr war, dass man einmal im Jahr 100 000 Menschen im Bus nach Berlin karrt und anschließend einen Gewerkschaftskongress durchführt, dann ist das kein Widerstand. Widerstand muss für die Bundesregierung spürbar sein. Sie muss merken, dass ihr ein Wind entgegen weht, dem sie sich nicht entziehen kann. Eigentlich müsste es auch in großen Teilen der SPD rumoren. Für dieses breite Bündnis würden wir eine Gewerkschaft mit Kampfeskraft und eine wehrhafte SPD brauchen.
Sie sprechen davon, dass Proteste nicht ausreichen, sondern dass Sie sich Widerstandsformen des sozialen Ungehorsams wünschen. Was heißt das?
Alle möglichen Formen, die Sand ins Getriebe streuen. Die Bundesregierung muss einfach merken, dass es da weh tut. Das kann so beginnen, wie es die Studenten im vergangenen Jahr gemacht haben, dass Hörsäle besetzt werden. Das kann aber auch soweit gehen, dass man Arbeitsagenturen eine Zeit lang lahm legt, dass bestimmte Betriebe bestreikt oder blockiert werden. Es muss einfach ein Angriff auf das Großkapital sein.
Sie haben mehrere Demonstrationen geplant?
Ja, wir möchten die Menschen ganz massiv auffordern, dass sie sich am Mittwoch in dieser Woche an dem bundesweiten Bildungsstreik beteiligen und nicht einfach sagen, da haben wir nichts mit zu tun, das sind nur Studenten und Schüler. Jeder hat damit zu tun. Und ich möchte alle Menschen bitten, sich am Samstag an den Großdemonstrationen (Motto: »Wir zahlen nicht für Eure Krise«) in Berlin und Stuttgart zu beteiligen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/172571.keine-kuerzungen-fuer-reiche.html