nd-aktuell.de / 09.06.2010 / Politik / Seite 8

Der Trader

Jérôme Kerviel / Der französische Banker steht vor Gericht – und will nicht den Sündenbock geben

Ralf Klingsieck

Der heute 33 Jahre alte Börsenhändler Jérôme Kerviel, der seit Dienstag in Paris vor Gericht steht, weil er der Bank Société Générale einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro bescherte, ist einsichtig. Aber er ist nicht verrückt. In einem kürzlich erschienenen Buch bezeichnet er sich selbst als »einen Menschen, der Fehler anerkennt, aber der sich weigert, für ein verrückt gewordenes System zu zahlen«. Kerviel ist sich bewusst, dass sein Fall zum Symbol für die Finanzkrise wurde. Aber er will kein Sündenbock sein für seine Vorgesetzten, seine Bank und die Börsen.

Seit Anfang 2008 bekannt wurde, dass der Trader bei seinen immer gewagteren Spekulationen fast fünf Milliarden Euro verjubelt hat, versucht ihn sein ehemaliger Arbeitgeber – wohl um Schuld von sich selbst abzulenken – als gerissenen Betrüger darzustellen. So lautet denn auch der Vorwurf vor Gericht auf Betrug, Urkundenfälschung und Manipulation von Computerdaten. Dafür drohen ihm bis zu fünf Jahre Gefängnis und astronomisch hohe Schadenersatzforderungen. Aber weder die Bank noch die Finanzpolizei konnten auch nur die geringste persönliche Bereicherung feststellen.

Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften konnte Kerviel bei einer Bank anfangen, aber nicht gleich im Aktienhandel, sondern im »Backoffice«, wo die Operationen der Händler registriert werden. Dort fiel der ruhige und bescheidene Kerviel positiv auf und die Bank bot ihm an, selbst Trader zu werden. Auf dem riskanten Parkett des Derivatenhandels hat er sich schnell und erfolgreich zurechtgefunden. Nach Milliardengewinnen für die Bank war er Ende 2007 in eine Verlustspirale geraten. Mit immer höheren Einsätzen hat er versucht, das Blatt zu wenden. Dabei soll er die bankinternen Kontrollinstanzen mit gezinkten Statistiken getäuscht haben. »Alle haben ihr offizielles Limit systematisch durchbrochen«, schreibt Kerviel. Dazu seien sie von der Bank ermuntert worden.

Vor Gericht soll jetzt geklärt werden, wie weit Kerviel im Verborgenen spekulierte und inwieweit die Bank sein Treiben tolerierte. Umfragen zufolge glauben die meisten Franzosen eher Kerviel als der Bank. Und jeder zweite Befragte würde ihm gar die Verwaltung des eigenen Vermögens anvertrauen.