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Gefährliche Wahrheiten

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.

Stabilität und Sicherheit seien für Irak entscheidend, meinte Außenminister Guido Westerwelle vor wenigen Tagen in Berlin und lobte die kurdische Regionalregierung, die »im anstehenden Regierungsbildungsprozess nach den irakischen Parlamentswahlen am 7. März 2010« eine »konstruktive Rolle« spielen wolle. Zu Besuch in Berlin war Masoud Barzani, Präsident der kurdischen Autonomieregion in Nordirak und Führer der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP).

Den spärlichen Meldungen, die es über diese Begegnung gibt, ist zu entnehmen, dass Barzani für die guten Beziehungen zur Türkei gelobt wurde, wie es in einer Erklärung der Kurdistan Regionalregierung (KRG) hieß. Deutschland wolle »wirtschaftliche und Handelsbeziehungen mit der kurdischen Region« knüpfen. Hinter geschlossenen Türen der Körber-Stiftung traf Barzani Vertreter des Verteidigungsministeriums und von »ausgewählten Think Tanks« um über »die Erwartungen Deutschlands und der Europäischen Union« zu sprechen. Mit einem Generalkonsulat und Wirtschaftsbüro, einem Verbindungsbüro des Goethe-Instituts und ab September auch mit einer deutschen Schule sei Deutschland »schon heute beachtlich« in der Region vertreten, so das Auswärtige Amt.

»Stabilität und Sicherheit in Irak« werden definiert nach den Interessen des politischen Berlin. Und so spielte es auch keine Rolle, dass Barzani wirtschaftlich und politisch nicht nur einer der größten Nutznießer der völkerrechtswidrigen US-Invasion in Irak 2003 ist, er nimmt es auch mit den Menschenrechten nicht so genau.

»Reporter ohne Grenzen« berichtet, dass sich die beiden herrschenden Parteien der Kurdistan Regionalregierung, KDP (Barzani) und PUK (Patriotische Union Kurdistans, Talabani) Anfang Mai abgesprochen haben, die Presse einzuschränken. Schon jetzt dürfen Journalisten nicht aus dem Regionalparlament berichten. Wer kritische Artikel über die Regierungsarbeit veröffentlicht, wird gefeuert oder hat mit Schlimmerem zu rechnen.

Ein Beispiel ist die Ermordung des Studenten Sardasht Osman (23) Anfang Mai. Osman, der Englische Literatur studierte, hatte für verschiedene Internetmedien sarkastische Texte über den Reichtum von Massoud Barzani und seine Familie verfasst, woraufhin er – anonym, versteht sich – bedroht wurde. Am 4. Mai wurde Osman vor seiner Universität in Erbil von Unbekannten verschleppt, einen Tag später fand man seine gefolterte Leiche bei Mossul mit zwei Einschüssen im Kopf. Tausende demonstrierten und machen die Sicherheitsdienste Barzanis verantwortlich, die Erbil und alle Polizeiposten von dort nach Mossul unter ihrer Kontrolle haben. Die Organisatoren der Proteste erhielten Drohungen, ebenso Journalisten, die darüber berichteten. KDP-Sprecher wiesen die Vorwürfe zurück.

Noch vor wenigen Jahren wurde ein (im Ausland lebender) kurdischer Journalist zu einer Gefängnisstrafe von 25 Jahren verurteilt, weil er schrieb, was alle wussten und niemand sich traute zu sagen: die Regierung der kurdischen Regionalregion ist korrupt. Der Preis, den Journalisten in Kurdistan/Irak für ihre mutige Arbeit bezahlen, ist noch immer hoch. Vom Rest Iraks ganz zu schweigen.

Auf Nachfrage ist im Auswärtigen Amt zu erfahren, dass »der Fall Osman angesprochen« worden sei, weitere Angaben könne man nicht machen. Während sonst »das Thema Menschenrechte« schon mal zur Chefsache erhoben und vor, während und nach politischen Gesprächen medial aufbereitet wird, herrscht bei Herrn Barzani Schweigen. Vielleicht weil er »kein staatlicher Repräsentant« ist, wie es im Auswärtigen Amt heißt. Vielleicht aber auch, weil man es mit den Menschenrechten eben nicht so genau nimmt.

Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für das ND aus der Nahost-Region.

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