nd-aktuell.de / 16.06.2010 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

Allgemeinwohl nicht einklagbar?

Klimaschützer Dirk Jansen über Klage gegen das Kohlekraftwerk Lünen

Der Geograf Dirk Jansen ist Geschäftsleiter des Umweltverbands BUND in Nordrhein-Westfalen.
Der Geograf Dirk Jansen ist Geschäftsleiter des Umweltverbands BUND in Nordrhein-Westfalen.

ND: Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) klagt bereits vor Gerichten in Nordrhein-Westfalen gegen den Bau eines Kohlekraftwerks in der westfälischen Stadt Lünen. Nun machen Sie einen Abstecher zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Was ist das Ziel Ihrer Klage?
Jansen: Das deutsche Recht schränkt die Klagemöglichkeiten der anerkannten Umweltschutzverbände gegen Kohlekraftwerke und andere industrielle Großanlagen ein. Denn ausgerechnet alle Belange des Allgemeinwohls können nicht gerichtlich überprüft werden. Das betrifft den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sowie den Umwelt- und Naturschutz. Da klafft eine Lücke – und die ist europarechtswidrig. Wir wollen vor dem EuGH verbesserte Verbandsklagerechte auch in Deutschland durchsetzen. Denn Fische können nicht in den Gerichtssaal laufen, so hat es die Generalanwältin des EuGH auf den Punkt gebracht.

Welche Auswirkungen hätte ein Erfolg der Klage?
Der Ausgang des Verfahrens ist von ganz wesentlicher Bedeutung, und zwar nicht nur in Bezug auf Kohlekraftwerke, sondern beispielsweise auch für Müllverbrennungsanlagen und Chemieparks. Wenn wir uns durchsetzen, gibt es fortan erweiterte Klagerechte gegen solche potenziell gefährlichen und schädlichen Großvorhaben. Insofern wird das Urteil bundesweit mit großer Spannung erwartet.

Ihre Argumente gegen das Kraftwerk Lünen sind: Naturzerstörung, Feinstaub und Gifte wie Cadmium und Arsen. Warum erwähnen Sie das Treibhausgas Kohlendioxid nur am Rande?
Dies ist eine schizophrene Situation: Kohlekraftwerke unterliegen zwar den Bestimmungen des Immissionsschutzrechts. Aber es gibt im deutschen Recht keine Festschreibung der Kohlendioxid-Höchstmengen, die ein Kraftwerk ausstoßen darf. Dass solche Kraftwerke massiv das Klima schädigen, ist schlicht nicht justiziabel. Deswegen müssen wir mit Feinstaub und Giften argumentieren.

Die Trianel GmbH ist nicht nur Bauherr des Kohlekraftwerks Lünen, sondern laut Eigenwerbung auch die »führende Stadtwerke-Kooperation in Europa«. Müsste ein in öffentlicher Hand befindliches Unternehmen nicht dem Gemeinwohl und daher dem Klimaschutz verpflichtet sein?
Das sollte so sein. Einerseits begrüßen wir natürlich Stadtwerksinitiativen, die das Oligopol der Großen Vier der Energieversorgung, also E.on, EnBW, RWE und Vattenfall, knacken wollen. Andererseits plant Trianel in Lünen und auch in Krefeld ein Kohlekraftwerk. Das ist der falsche Weg, denn eines ist klar: Kohlekraftwerke dienen in keiner Weise dem Allgemeinwohl. Sie beeinträchtigen Natur und Umwelt, gefährden die Bevölkerung durch ihren hohen Schadstoffausstoß und heizen den Klimawandel mit all seinen volkswirtschaftlichen Folgen an.

Einige der größten europäischen Klimakiller stehen in NRW, darunter das RWE-Braunkohlekraftwerk in Neurath. Nun wird dieses ausgebaut – mit Billigung des Bundestages. Pennt die Klimakanzlerin?
Bundes- und Landesregierung geben auf internationalen Konferenzen immer wunderschöne Bekenntnisse zum Klimaschutz ab. Trotzdem werden Kohlekraftwerke gebaut, landauf und landab. Neurath wird künftig 16,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausstoßen. Leider konnten wir den Ausbau auf gerichtlichem Wege nicht verhindern. Damals, zum Zeitpunkt der Genehmigung, hatten wir ja noch keine Klagebefugnis.

Fragen: Marcus Meier