nd-aktuell.de / 17.06.2010 / Kultur / Seite 8

De-Eskalation in Nordirland

Five Minutes of Heaven von Oliver Hirschbiegel

Alexandra Exter

Es ist der passende Film für eine Woche, in der sich die britische Regierung der Evidenz der Geschichte beugte und sich bei der Bevölkerung Nordirlands entschuldigte für die tödlichen Schüsse auf friedliche Demonstranten am Bloody Sunday 1972, an dem 14 Menschen starben. Denn »Five Minutes of Heaven« ist ein Film über irisch-protestantische Gewalt aus den Reihen der paramilitärischen, großbritannientreuen Ulster Volunteer Force, einer Gewalt, die sich gegen Aktivisten der IRA richtete, aber auch gegen irisch-katholische Zivilisten. Er beruht auf einer wahren Geschichte.

Oliver Hirschbiegel, Regisseur der Extreme, der abwechselnd geschichtsklitternde Mega-Spektakel wie »Das Experiment« oder »Der Untergang« und monologische Einmann-Parforce-Touren wie »Mein letzter Film« (mit Hannelore Elsner) oder »Ein ganz gewöhnlicher Jude« (mit Ben Becker) inszenierte, bevor er mit seinem US-Debüt und ersten englischsprachigen Film »Invasion« baden ging, hatte ursprünglich einen Film über die Kindersoldaten von Sierra Leone geplant. Aber ihm und Drehbuchautor Guy Hibbert wollte für dieses gemeinsame Projekt die Finanzierung nicht gelingen.

Nun also ein Film über minderjährige Täter in Nordirland. Hirschbiegel nannte ihn einen »kammerspielartigen Western«, weil er auf ein finales Duell hinausläuft, nach dem eine späte Versöhnung vielleicht doch noch möglich wird. Ein Film von universaler Bedeutung auch, denn die Eskalation sinnloser, von Geltungsbedürfnis und einem fantasielosen Desinteresse an den Befindlichkeiten der Gegenseite getriebener Gewalt, die hier verhandelt wird, ließe sich auch auf terroristische Gruppen mit, zum Beispiel, islamistischem Hintergrund übertragen – eine Parallele, die der Film ausdrücklich zieht.

Liam Neeson, einst Michael Collins, Freiheitsheld der Republik Irland, spielt Alistair Little. Als Jugendlicher und militantes Mitglied der Ulster Volunteer Force hatte er den Bruder des damals 11-jährigen Joe Griffin vor dessen Augen erschossen. Der Täter hatte im Gefängnis Zeit, sich mit seiner Schuld auseinanderzusetzen, und ist ein geläuterter Mann. Griffin (James Nesbitt) sah seine Familie unter Wut und Trauer zerbrechen, schiebt einen trostlosen Job und trägt seine Rachefantasien noch dreiunddreißig Jahre später wie das verheißene Nadelöhr zum Paradies mit sich herum. Die »Five Minutes of Heaven«, fünf Minuten purer Freude, sind seine Vorstellung davon, wie es sich anfühlen wird, wenn er das Messer im Körper des Täters versenkt.

Der erste der drei Akte rekonstruiert den realen Mord von 1975. Der zweite Akt ist dann bereits fiktiv, hier trifft das zynische Reality-TV-Geschäft auf zwei Männer, die jener erste Akt zerstörte. Der dritte ist pure Utopie, eine Fantasie darüber, wie persönlicher Mut, ein Faustkampf und ein paar treffende Worte die Wunde endlich vernarben lassen. Zu einfach, zu filmindustriell, zu unwahrscheinlich. Im wirklichen Leben wollte sich Joe Griffin bisher nicht mit Alistair Little treffen – da wären die Rachegefühle denn wohl doch stärker gewesen als die Zeit, die alle Wunden heilt.