Bad Wimpfen liegt zu Füßen

Blanca Knodel ist Türmerin mit Wohnsitz 32 Meter über der Stadt

  • Andreas Steidel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Besteigung des Blauen Turmes der Kaiserpfalz in Bad Wimpfen beginnt zuweilen so: Unten steht ein Bierkasten, auf ihm liegt ein Zettel, und darauf steht der Hinweis, dass der, der ihn die drei Treppen bis zum Lastenaufzug trägt, ein Freibier bekommt. Scherze mit praktischem Nutzwert sind typisch für Blanca Knodel, die 32 Meter über der Stadt einen der ungewöhnlichsten Privathaushalte Deutschlands führt: eine mittelalterliche Turmklause mit 53 Quadratmetern verwinkelter Wohnfläche und 134 Stufen bis zur Haustür. Da kann man sich nicht wegen jeder Kleinigkeit nach unten bewegen.

Blanca Knodel ist Türmerin von Beruf. Die einzige Türmerin bundesweit, die permanent oben wohnt und nicht nur morgens ihr Kassenhäuschen aufschließt und abends wieder zu. Der Rest sind entweder Männer oder solche, die nur ihr Tagwerk verrichten. Frau Knodel ist in ihrem Reich unter dem schieferblauen Dach des Kaiserturms eine ziemlich einmalige Erscheinung.

Darüber staunen auch die Besucher, wenn sie mühevoll das historische Treppenhaus erklommen haben. Geschichten von Kaisern und Königen begegnen ihnen dort, von Staufern und Stadtvätern, von Kriegen und Bränden, die dem Wahrzeichen am höchsten Punkt der der Stadt zugesetzt haben. Kurz vor der Aussichtsplattform werden sie in die Gegenwart zurückgeholt: Eine Frau mit kastanienbraunem Haar macht das Fenster auf, grinst aus ihrem Kassenhäuschen heraus und sagt: »Guten Tag, das hier ist die Mautstelle, einen Euro fünfzig bitte.«

Die meisten stutzen einen Moment, wenn sie das hören, und dann sagt Blanca Knodel noch, dass das doch »wenig Geld ist für so viele Treppen«. Dabei stutzen sie gar nicht wegen des Geldes, sondern weil sie hinter der Tür das kleine Reich entdeckt haben, in dem die Kassiererin lebt: Ein gemütlicher Wohnzimmertisch steht vor einer Eckbank, Bilder und Bücher zieren die Wände – wenige Blicke von außen reichen schon, um sich romantische Vorstellungen vom Leben unter dem Turmdach zu machen.

Dabei muss man seine Fantasie gar nicht bemühen, wenn man in Bad Wimpfen auf dem Turm ist: Wer mehr als einmal nachfragt, wie es sich dort oben lebt, wird von der stets zum Plaudern aufgelegten Türmerin sofort hereingebeten. »Dann schauen Sie es sich halt selber an.« Und schon steht man mitten in der 3,30 Meter hohen Einraumwohnung, die die Amtsinhaberin anfangs sogar noch mit ihren drei Kindern teilte.

Heute liegt nur noch der Kater auf dem Bett, die Kinder sind aus dem Haus und der Ehemann ebenso: »Er war auch Türmer und ist irgendwann getürmt.« Ähnlich entspannt wie zur Ehe ist Blanca Knodels Verhältnis zu den meteorologischen Gefahren auf 32 Metern Höhe: 1701, 1848 und 1984 brannte der Dachstuhl samt Türmerwohnung nach einem Blitzschlag komplett aus. »Statistisch also alle 150 Jahre«, stellt sie lapidar fest und betont stattdessen den romantischen Erlebniswert von Blitz und Donner, wenn man mit einem Glas Wein gemütlich über den Dächern der Stadt sitzt.

Nun kann man sich als Besucher auch noch erklären lassen, wie das Klavier beim Einzug durch das Treppenhaus bugsiert wurde und wie es gelang, während des belebten Weihnachtsmarktes den Whirlpool in den Dachstuhl zu hieven. Dass Bad Wimpfen seit dem 16. Jahrhundert eine ununterbrochene Türmertradition besitzt, Frau Knodel einer der ältesten Familien Bad Wimpfens entstammt und ihre Vorgänger dafür zuständig waren, die Einwohner vor feindlichen Angriffen zu warnen, erfährt man ebenfalls.

Oder man besinnt sich auf seine ursprüngliche Absicht und geht die verbleibenden 33 Stufen zur Aussichtsplattform hinauf. Auch sie ist ein lohnenswertes Erlebnis, zusammen mit dem Blick auf die malerische Altstadt und die stattlichen Reste der besterhaltenen Kaiserpfalz nördlich der Alpen. Den will Blanca Knodel nie wieder aufgeben. Einmal Türmerin, immer Türmerin, lautet ihre Devise, auch wenn man dabei nicht reich wird und oft tagelang die Wohnung nicht verlässt.


Der blaue Turm und die Staufer

Der Blaue Turm in Bad Wimpfen war die westliche Begrenzung der Kaiserpfalz, die von Friedrich Barbarossa Anfang des 13. Jahrhunderts begründet wurde. Knappe siebzig Jahre lang hielten die Staufer dort Hof, bis ihr Geschlecht 1268 ausstarb. Danach wurde Bad Wimpfen freie Reichsstadt. Eine der wichtigsten Ereignisse aus der Stauferzeit, die Gefangennahme und Entmachtung König Heinrich VII. durch seinen Vater Kaiser Friedrich II., jährt sich 2010 zum 775. Mal. Das feiert Bad Wimpfen am 3. und 4. Juli mit einem großem Stauferfest und einem eigens für diesen Anlass geschriebenen Bühnenschauspiel unter freiem Himmel (»Heinrich VII., Rebell in Samt und Seide«), das im Juli insgesamt acht Mal aufgeführt wird. (ASt)

Dafür kommen die Menschen zu ihr nach oben, mit oder ohne Bierkasten.

  • Tourist-Information Bad Wimpfen, Carl-Ulrich-Str. 1, 74206 Bad Wimpfen. Tel.: (07063) 9720-0, Fax: -20, www.badwimpfen.de
  • Der Blaue Turm in Bad Wimpfen ist Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt für Erwachsene 1,50 €, Kinder 1 €
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