Wer weiß denn wirklich, wer er ist?

Nach den Ruhrfestspielen nun in Berlin: »Was ihr wollt« von Shakespeare im Renaissancetheater

  • Ekkehart Krippendorff
  • Lesedauer: 3 Min.

Shakespeares Komödie der »Zwölften Nacht« nach Weihnachten, die im Alten England als eine Art ausgelassener Karneval gefeiert wurde, wo »nichts so ist, was es ist«, gilt als die letzte seiner »glücklichen Komödien« und ist bis heute die meistgespielte und beliebteste, weil aus ihr geradezu von selbst die theatralischen Funken der Verwechslung und des Witzes, der Liebe und des Spottes sprühen. Es kann da fast nichts schief gehen – aber trotzdem kann man noch immer etwas Besonderes aus diesem unter der theatralischen Oberfläche tiefsinnigen Wunderwerk machen.

Solches ist derzeit in Berlin zu erleben in der Regie von Armin Holz, besetzt mit Spitzenschauspielern, von denen man zu Recht sagt, sie repräsentierten jede und jeder für sich ein Stück deutscher Bühnengeschichte. Und es ist eine Inszenierung ganz und gar gegen den Zeitgeist dekonstruierenden – oder, alternativ, auf Effekt und Wirkung setzenden – Theaters. Sie ist wohltuend anders, einmalig, eigensinnig.

Nicht dass Holz und sein Mit-Bearbeiter Gerhard Ahrens sich nicht kräftig in den Text eingemischt hätten: Die Übersetzung wurde aus den literarisch gelungenen Klassikern des 18. Jahrhunderts destilliert und das Stück auf eindreiviertel Stunden komprimiert. Die Regie ist vielmehr einen ganz anderen, gewissermaßen »dritten Weg« gegangen, indem sie sich ganz auf Farbe, Figürlichkeit und Bühnendesign konzentriert, der gesprochenen Handlung eine Hilfsfunktion zuweist und eine Art Prosa-Ballett schuf, dessen Protagonisten sich in ebenso extravaganten wie clownesken Kostümen grellfarbig vor schwarzem Hintergrund und symbolisch schwer zu entziffernden Zeichen und Baumfiguren des Malers Matthias Weischer kontrastreich bewegen.

Man ist versucht, sich an die Ästhetik des DaDa zu erinnern, an Schwitters und das Triadische Ballett beispielsweise, um dabei eine ganz andere, unerwartete Melodie dieses musikalisch komponierten Stückes zu entdecken (erinnert sei an die hochpoetische Zeile von der Musik als der Nahrung der Liebe – »if music be the food of love«). Holz hat den Mut, nicht mit diesen berühmten Worten zu beginnen, sondern mit Feste, dem Narren und der Musik der Jazzsängerin Lisa Bassenge, die die Handlung immer wieder grundiert.

Der strategische Verzicht auf das Primat der Sprache und damit die Bedeutungstiefe der Bilder und Metaphern wird bezahlt mit einem Nachlassen der Spannung, weshalb es dramaturgisch klug und geradezu geboten war, den Textkorpus um mehr als die Hälfte zu kürzen. Geopfert aber wird damit auch die Verständlichkeit der komplizierten Handlung: Man sollte das Stück unbedingt vorher sorgfältig gelesen haben, um dessen erstaunliche und faszinierende Transformation in eine so ganz andere und auf seine Art staunenswerte Gestalt so schätzen zu können, wie sie es verdient.

Denn »Was ihr wollt« ist ein Stück, in dem das Theater mit sich selber spielt, wo die Schauspieler sich auf der Bühne fragen, ob sie Schauspieler oder sie selbst sind, wo die Wirklichkeit erst als verkehrte wirklich wird und selbst dann niemand so recht weiß, wer er – oder sie – ist, ob er – oder sie – sich selbst besitzt und worin er – oder sie – Identität hat. Die große

Hermaphrodit-Zeichnung im Bühnenbild macht das sinnfällig. Die besondere Form, die Holz mit seiner Inszenierung gefunden hat, um uns diese komplexe, von Shakespeare mit der scheinbar leichten Hand des Dichters sichtbar gemachte Erkenntnis zu vermitteln, erweist sich darum als der eigentliche Inhalt, als eine der Lebensbotschaften dieser Komödie.

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