nd-aktuell.de / 23.06.2010 / Brandenburg / Seite 10

Sophiensäle

Symphonie der Arbeit

Tom Mustroph

Qualifizierte manuelle Arbeit ist offenbar so rar geworden, dass sie kurz vor musealen Weihen steht. In einer Art performativer Vorstufe dazu, präsentieren der Klangkünstler Hannes Seidl und der Videokünstler Daniel Kötter derzeit vier Veteranen des Handwerks in den Sophiensälen. Ein pensionierter Konstrukteur, ein Elektriker, ein früherer Bühnenmaler und ein ehemaliger Spezialist für elektronische Klänge gehen auf der Bühne ihren einstigen Tätigkeiten nach und führen dabei eine Komposition aus Bau- und Bastelgeräuschen auf.

Sie schmirgeln, bohren, tackern und fräsen nach einer von Seidl ersonnenen Partitur. Das hat einen hybriden Charme. Denn die profanen Tätigkeiten, die gewöhnlich in Hobbykeller verbannt werden, dienen nun der künstlerischen Klangerzeugung. Die vier Herren im Rentenalter bewahren dabei jene Stoik, die sie wahrscheinlich auch im Alltag auszeichnet. Ihre Hantierungen werden allein schon durch den Transfer in den Kunstort ästhetisch aufgeladen.

Dieses Konzert mit Bohrmaschine und Elektroschrauber erinnert entfernt an das großartige Werk »Experimentum Mundi« des italienischen Komponisten Giorgio Battistelli. Er hatte 1981 traditionelle Handwerker seines Heimatdorfes wie Pizzabäcker, Küfner, Scherenschleifer und Maurer zu einer Symphonie der Arbeit zusammengeführt. Battistelli holte freilich seine »Instrumentalisten« aus deren aktuellen Arbeitsalltag ab – Seidl und Kötter hingegen haben sich Pensionäre ausgesucht.

»Falsche Freizeit« heißt ihr Abend. Er dokumentiert den Wandel der Arbeitsgesellschaft hin zu einer Verkehrsform von Individuen. Produktiv sind die vier Herren immerhin. Manfred Mühling stellt ein Modell des Theatersaals der Sophiensäle her. Enrique Gonzalez-Rubiera arbeitet sich an einem Stein ab. Heinz Meusel und dem früheren Phono-Archivar der HU Berlin, Ingo Haedicke, darf man bei der Reparatur von Fernsehgeräten zuschauen.

Die so selbstgenügsame wie selbstzufriedene Performance weist darauf hin, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der das Gestalten von erzwungener Freizeit zunehmend zur Hauptbeschäftigung vieler Menschen zu werden droht.

23.-24.6., 19.30, Sophiensäle