Im effektvollen Nebelwabern

Olafur Eliasson fordert zum Reflektieren über unseren Realitätssinn heraus

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.
»Water pendulum«, 2010
»Water pendulum«, 2010

Durch schwefelgelbe Farbmassen arbeiten sich die Besucher des Berliner Martin-Gropius-Baus. Menschen in der Nähe sind bloß noch diffus auszumachen. Freunde, Paare verlieren sich, dafür tapst man an vollkommen Fremde heran in den kolorierten Dampfnebeln, die inzwischen changieren zu Orange, über Rot und Violett schließlich zu Grün. – Unbekanntes Gelichter, gemischte Gefühle. Überwiegt der Reiz an der temporären Desorientierung, der physischen Auseinandersetzung mit effektvoll wabernden Discowolken? Oder ist es das schlichte Delektieren an einem Sinnenrausch, wie ihn psychedelische Großeinsätze in Film, Werbung und populären Lavalampen der 70er Jahre herstellten? Budenzauber für Millionen oder kalkulierte Irritationen unserer Wahrnehmung auf ausgetüftelter technischer Basis: Das ist die Frage, die einen umtreibt, wenn man sich auf Olafur Eliasson einlässt. Denn das interaktive Element zählt ebenso zu seinen Ingredienzien wie der Hang zum spektakulären Großereignis sowie sein zumeist souveräner Umgang mit Licht, Wasser und Luft.

Den Durchbruch erzielte Eliasson mit seinem »Wheather Project«, das er 2003 in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern arrangierte. Über zwei Millionen Besucher pilgerten zu dem mystischen Spektakel nebliger Sonnenauf- und Untergänge. Auf dem Boden liegend verfolgten sie die Bahn des gleißenden und verdämmernden Planeten – und reflektierten sich dabei selbst in einem riesigen Spiegel an der Decke. Ein Eliasson-Höhepunkt waren 2008 vier Wasserfälle, die er 110 Tage lang rund um die Südspitze Manhattans installieren und in den East River donnern ließ. 2207 Liter Wasser stürzten dabei in einer einzigen Sekunde hernieder. Natürlich ist dergleichen nicht zu stemmen ohne die entsprechende Equipe: Um beispielsweise seine New Yorker Wasserfall-Inszenierung umzusetzen, waren mehr als 200 Ingenieure, Taucher, Gerüstbauer, Umweltexperten und andere Wissenschaftler und Handwerker zwei Jahre lang im Einsatz.

Seit 1994 lebt und arbeitet Olafur Eliasson in Berlin. Dabei kann sein Arbeitsplatz kaum als gewöhnliches »Atelier« gelten. Vielmehr handelt es sich um eine Kreuzung aus Thinktank und einem Werkstattmodell in der Nachfolge von Warhols legendärer »Factory«. Laut eigener Homepage beschäftigt Eliassons »Studio« derzeit rund 35 Mitarbeiter: von Handwerkern und Spezialtechnikern bis hin zu Architekten, Physikern, Archivaren, Kunsthistorikern, Köchen (!) und Verwaltern. Jeden Mittag wird gemeinsam am runden Tisch gespeist. Diese ansehnliche Truppe experimentiert, entwickelt und installiert Eliassons Inszenierungen.

Der dänische Künstler isländischer Abstammung räumt gerne ein, dass es ruhig schon mal »kitschig, blöd, banal« zugehen dürfe, wenn dadurch die Publikumszugänglichkeit seiner naturidentischen Einfälle gesteigert wird. Opium fürs Volk oder subtile Genüsse für die der kopflastigen Konzeptkunst überdrüssige Kunstszene? Bemerkenswert, dass der Shootingstar auf eine offizielle Eröffnungsfeier im Gropius-Bau verzichtete und stattdessen den ersten Tag allen Besuchern freien Eintritt gewährte.

Zunächst betritt man auf originalen Gehsteigplatten das Terrain – Eliasson hat seine erste Berliner Einzelausstellung unter das Motto »Innen Stadt Außen« gestellt. Seit Wochen schon erblickt der Berliner herrenlose Baumstämme inmitten der Stadtlandschaft. Der 1967 in Kopenhagen geborene Künstler hat sie eigens von isländischen Gestaden an die Spree transportieren lassen und wie zufällig auf Bürgersteigen deponiert. Wobei die Pointe darin besteht, dass die Hölzer gar keine originären Bestände seiner Heimat sind, da dort – neben dem berüchtigten Eyjafjallajökull – kaum etwas gedeiht. Jedenfalls nichts Baumartiges.

Auf der Pfaueninsel steht sein mit Glassegmenten versehener »Blind Pavillon« – bereits 2003 dänischer Beitrag für die Venedig Biennale. Er spielt mit der Illusion der perfekten Landschaftsinszenierung. Eliasson sieht sich hier an der Havel an einem »utopischen und wissenschaftshistorisch spannenden Ort«, experimentierte doch schon im 17. Jahrhundert der Alchimist Kunckel mit diversen Glassorten. Ein zentraler Raum im Gropius-Bau inszeniert nun ein Kunckel-artiges Laboratorium mit Prismen, Kugeln, Polyedern und Modellvarianten seiner aufwendigen Projekte en miniature.

Die Altberliner Gehwege führen den Besucher geradewegs in ein Panoptikum, das ihn und seine Mitbesucher mit sich selbst konfrontiert. Sobald er den steilen Lichtkegel streift, bildet sich sein Körper vielfarbig und in der jeweiligen Gestik ab, was manche zu allerlei Feixereien animiert. Ein beweglicher Schlauch verspritzt in einem düsteren Raum Wasser: Gleißendes Stroboskoplicht macht die tanzende Gummischlange sichtbar. Neben der diminutiv getauften Arbeit »Mikroskop«, die den geschlossenen Innenhof des Gropius-Baus mittels raffinierter Silberfolien in einen unentwegt vibrierenden, gigantischen Spiegelsaal verwandelt und ihn so ins Unendliche ausweitet, verblüfft wohl am meisten eine Installation, an der man ebensogut arg- und achtlos vorbeigehen könnte. Beim Blick aus dem Fenster ist die Weiterführung des einstigen Kunstgewerbemuseums zu sehen. Doch halt: Da schaut einen ja das eigene Spiegelbild an. Wiederum ist es Eliasson geglückt, unsere Wahrnehmung auszutricksen. Unauffällig hat er einen Spiegel in die nämliche Fassadenwand montiert, der unseren Blick nun virtuell nach Außen erweitert.

Eliasson weist uns mit viel Verve und oft einem Augenzwinkern die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Keineswegs ist es ihm um pure Effekte zu tun, vielmehr um die Selbstreflexion unseres Sehens: »Unsere Wahrnehmung nehmen wir für selbstverständlich, so, als wäre unser Sehen objektiv und würde sich nie verändern. Dabei ist Sehen kulturelle Entwicklung.«

»Innen Stadt Außen« ist bis zum 9. August im Martin-Gropius-Bau zu sehen, die Installation auf der Pfaueninsel bis 31. Okt. Katalog.

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