nd-aktuell.de / 09.07.2010 / Sport / Seite 19

Ohne ein Wort des Bedauerns

Lässt Präsident Blatter die Chance verstreichen, die Apartheid-Vergangenheit der FIFA aufzuarbeiten?

Ronny Blaschke, Kapstadt

Er ist überall, man kann ihm nicht entkommen, im Fernsehen oder in den Zeitungen. Joseph Blatter, der Präsident des Weltfußballverbandes FIFA, geriert sich in Südafrika als König der Entwicklungshelfer. Er spricht über die Gegenwart, die Zukunft und über sich selbst, doch eines klammert er aus: die Vergangenheit der FIFA während der Apartheid, eines der dunkelsten Kapitel der Fußballgeschichte.

»Die FIFA hätte mit ihrer Macht ein Zeichen setzen können«, sagt der Kapstädter Buchautor Peter Raath, »aber sie hat lange nicht gehandelt.« Raath hat 2002 das erste umfassende Werk über den südafrikanischen Fußball veröffentlicht. Darin hat er vor allem den Einfluss der Rassentrennung untersucht. »Ligen, Tribünen, Stadioneingänge wurden nach Hautfarben getrennt«, sagt er – der FIFA sei das lange egal gewesen.

1948 war die Apartheid zur Staatsdoktrin erhoben worden, langsam ging sie auf den Sport über, 1956 per Gesetz. Weiße Verbände wie die Football Association of South Africa (FASA) lehnten nichtweiße Mitglieder ab, hatten Privilegien gegenüber der South African Soccer Federation (SASF), in der sich Schwarze, Farbige und Inder zusammenfanden, achtzig Prozent der Bevölkerung. Die SASF bat mehrfach um Anerkennung der FIFA – vergeblich. Sie forderte den Ausschluss der rassistischen FASA – vergeblich. »Die FIFA zögerte lange und suchte höflich nach Kompromissen«, berichtet Autor Raath. Auf Druck verweigerte sie der weißen FASA zunächst die Erlaubnis, Südafrika im Ausland zu vertreten. Im Hintergrund pflegte sie indes ihre Beziehungen.

Der Sportboykott galt als eine der wirkungsvollsten Maßnahmen gegen das Regime. »Damit konnte man sie treffen«, sagte einst der Widerstandskämpfer Dennis Brutus, der ein weltweites Netzwerk geknüpft hatte. Der Protest wuchs und so beugte sich die FIFA 1961 und suspendierte die FASA. Nicht lange, denn »was im Januar 1963 geschah, gehört zu den unauslöschlichen Schandflecken in den Annalen der FIFA«, wie der Afrika-Korrespondent Bartholomäus Grill in der ZEIT schrieb.

Unter der Leitung des FIFA-Chefs Sir Stanley Rous untersuchte eine Kommission die Lage vor Ort. Rous, ein erzkonservativer Engländer mit Nähe zum Regime, sah in der FASA keine »vorsätzliche Diskriminierung«. Er hob ihre Suspendierung auf und stützte ihre Haltung, wonach ihre multiethnischen Gegenspieler Handlanger der kommunistischen Politik seien. Die SASF sei hingegen ungeeignet, um Südafrika zu vertreten.

Die Proteste schwollen an, und so blieb Stanley Rous keine Wahl, die Suspendierung auf dem FIFA-Kongress 1964 in Tokio zu erneuern. Acht Jahre später plante die FASA ein Turnier für internationale Amateurteams, mit Unterstützung von Rous. Als bekannt wurde, dass Südafrika eine weiße Mannschaft spielen lassen wollte, sagten Brasilien, die BRD und England ab.

Es war der brasilianische Funktionär João Havelange, der den Rückzug seiner Landsleute eingefädelt haben soll. Havelange trat 1976 gegen Rous an und wurde FIFA-Präsident, dank der Stimmen der afrikanischen Verbände, die sich von Südafrika abgewandt hatten. Havelange wandelte die Suspendierung der FASA in einen Ausschluss um. Im selben Jahr führten Tote bei Studentenprotesten im Township Soweto zur größten Anti-Apartheid-Bewegung der Geschichte.

Der südafrikanische Rugby-Verband, der wie keine andere Sportorganisation die Rassentrennung unterstützte, entschuldigte sich für das Verhalten seiner Funktionäre 2006. Der Deutsche Fußball-Bund z. B. arbeitete seine Verstrickungen ins Nazi-Regime Anfang des Jahrtausends auf. Warum verweigert sich Joseph Blatter einem klaren Wort? Der Schweizer, der erst Mitte der siebziger Jahre zur FIFA kam, wird am Sonntag, am Finaltag, vor hunderten Millionen TV-Zuschauern sprechen. Vielleicht wird auch Nelson Mandela vor Ort sein. Blatter könnte mit einer Rede eine politische Diskussion entfachen. Peter Raath will nicht daran glauben: »Die FIFA hat eine strenge Politik. Worte des Bedauerns sind darin nicht vorgesehen.«