nd-aktuell.de / 16.07.2010 / Brandenburg / Seite 14

Weitere Grenzen sollen fallen

Residenzpflicht: LINKE fordert nach Freizügigkeit in Brandenburg auch bundesweite Lockerung

Wilfried Neiße

Die jüngst beschlossene Herstellung der Bewegungsfreiheit für Asylbewerber innerhalb Brandenburgs muss nach Ansicht der LINKEN durch eine Freizügigkeit für ganz Deutschland erweitert werden. Wie die ausländerpolitische Sprecherin Bettina Fortunato gestern in Potsdam sagte, sollen mit Berlin nach der Sommerpause erste Gespräche dazu stattfinden.

Vor rund einer Woche hatte das Kabinett eine Verordnung beschlossen, die Asylbewerbern das ungehinderte Reisen innerhalb des Bundeslandes gestattet. Bislang galt die gesetzliche »Residenzpflicht«, das heißt, ein Asylbewerber durfte den ihm zugewiesenen Landkreis nicht ohne schriftliche Erlaubnis verlassen. Die nun gewonnene Bewegungsfreiheit begrüßen die LINKEN entschieden, sagte die Abgeordnete und erinnerte daran, dass es sich um ein jahrzehntelanges Ziel ihrer Partei gehandelt habe, das nun unter rot-roten Verhältnissen Wirklichkeit werde. Endgültig in Kraft treten könne das Gesetz mit seiner Veröffentlichung im Amtsblatt in rund drei Wochen. Es gilt aber nicht für Menschen, die sich im Aufnahmelager Eisenhüttenstadt aufhalten.

Die Aufenthaltsbindung für Asylbewerber wurde 1982 eingeführt, um nach Ansicht von Fortunato Deutschland als Asylland unattraktiver zu machen und Asylsuchende abzuschrecken. Ziel sei die »Greifbarkeit« der Bewerber für die Behörden gewesen. Sie berichtete von unbegreiflichen Maßnahmen, so dem von einer Ausländerbehörde verhängten Verbot für einen Betroffenen, seinen 90-jährigen Vater in Berlin zu besuchen. Wer in Brandenburg lebend in Berlin eine Ausbildung begonnen habe, der habe sich schon strafbar gemacht. Asylbewerber, aber auch solche, die anerkannte Flüchtlinge oder sogar mit Pass ausgestattete neudeutsche Staatsbürger seien, habe man in der Vergangenheit einem ständigen Kontrolldruck ausgesetzt, weil sie schon ihrer Hautfarbe wegen verdächtigt wurden, den ihnen zugewiesenen Kreis verlassen zu haben. »Sie fühlten sich kriminalisiert.« Es sei wichtig, durch die Aufhebung der »unsichtbaren innerdeutschen Grenze« Kontaktmöglichkeiten zu Familie und Freunden herzustellen und auch Bildungs- und Arbeitsangebote an anderen Orten zu nutzen, sagte Fortunato.

In Brandenburg gibt es derzeit laut Fortunato 1163 Asylbewerber in fünf Heimen und anderen Wohngelegenheiten. Große Gruppen seien dabei die Kurden, geflohene irakische Christen und Menschen aus afrikanischen Staaten. Hinzu kämen 1757 Menschen mit dem Aufenthaltsstatus der Duldung. Letztere können sich zwar prinzipiell frei bewegen, doch würde das mitunter von Behörden willkürlich eingeschränkt, tadelte die Politikerin. Gemäß dem Landesaufnahmegesetz erstattet das Land den Kreisen und kreisfreien Städten Ausgaben in diesem Zusammenhang in Form einer Kostenpauschale.

Inzwischen gibt es Einwanderungsfeiern, multikulturelle Veranstaltungen und auch Bekenntnisse der Politik zum »bunten Brandenburg« – ungeachtet all dessen ging die Zahl der Asylbewerber und Asylanten in Brandenburg steil nach unten. Die Abschottungspolitik der Europäischen Union zeigt ihre Wirkung. Durch die EU-Politik ist inzwischen sichergestellt, dass kaum noch Flüchtlinge »Kerneuropa« erreichen. Mit viel Geld hat die Europäische Union ein Abfangsystem in den Grenzstaaten zur EU installiert. Das heißt, die Flüchtlinge sollen in der EU selbst möglichst gar nicht mehr auftauchen. Für diese Dienstleistung wird Grenzstaaten wie der Ukraine Geld geboten und perspektivisch eine größere Nähe zur Europäischen Union verheißen.

Vor sechs Jahren waren es noch 4300 Asylbewerber, die in den verbliebenen 38 Gemeinschaftsunterkünften Brandenburgs lebten. Damals sind es zusammen mit den ausländischen Flüchtlingen rund 8500 Personen gewesen, die sich in den Heimen des Bundeslandes aufhielten. 1992 hatte es noch 32 000 Flüchtlinge bzw. Asylbewerber in 134 brandenburgischen Heimen gegeben.

In Brandenburg lernen derzeit rund 4000 ausländische Schüler. Laut Bildungsministerium stammen 3,8 Prozent aller Grundschulkinder aus Familien von Ausländern, Aussiedlern oder Asylbewerbern. Der allgemeine Ausländeranteil in Brandenburg wird mit unter zwei Prozent angegeben.