Kampfkunst mit Körper und Köpfchen

Byoungseon So kombiniert in seinem Berliner »Madang«-Zentrum das Taekwondo mit dem Go

  • Lesedauer: 4 Min.
Meinen Gegner genau an dem Punkt treffen, wo es ihn aus der Balance wirft – und das schnell und virtuos, weil ich zuvor mentale Stärke am Spielbrett gewonnen habe: Auf dieses ungewöhnliche Konzept setzt BYOUNGSEON SO (33; Foto: privat) vom koreanischen Kultur- und Kampfkunstzentrum »Madang« in der KulturBrauerei Berlin-Prenzlauer Berg. Der Gründer und Geschäftsführer der Begegnungsstätte bietet demnächst neben Taekwondo-Training auch Go-Kurse an. ND-Autor René Gralla sprach mit ihm.
Kurzweil: Kampfkunst mit Körper und Köpfchen

Sie sind Philosoph mit dem akademischen Grad eines Magister Artium, zugleich tragen Sie den 5. Dan im Taekwondo. Ihre Vision ist die Fusion von Philosophie und Kampfkunst. Wie soll das gehen?
Taekwondo kombiniert Fuß- und Handtechniken für die Selbstverteidigung. Wenn wir Taekwondo tranieren, geht es weniger darum, andere zu besiegen, sondern sich selbst zu besiegen und die eigenen Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Um wirkliche Meisterschaft zu erlangen, brauchen Sie vor allem Selbstdisziplin.

Das heißt, ich darf auch keine Angst vor blauen Flecken und Schmerzen haben?
Richtig. Sie müssen lernen, Ihre Gefühle zu kontrollieren.

Außenstehende finden es oft befremdlich, dass in Asien ausgerechnet Mönche, die doch eigentlich friedlich beten und meditieren sollen, gleichzeitig auch im Kampfsport brillieren.
Das geht zurück auf den legendären indischen Asketen Bodhidharma (etwa 440 - 528), der den Zen-Buddhismus nach China brachte. Weil der weise Mann die Erfahrung gemacht hatte, dass Mönche wegen zu langen Sitzens oft über Rückenschmerzen und ähnliche Beschwerden klagten, empfahl er als körperlichen Ausgleich die Kampfkunst. Heißt es zumindest. Sinn macht der Ratschlag auch deshalb, weil die damaligen unruhigen Zeiten fitte, verteidigungsfähige Mönche brauchten.

Das leuchtet ein. Aber warum wollen Sie mit Go ausgerechnet ein Brettspiel, das doch zum Rumhocken schlechthin verleitet, in Ihr Kampfkunsttraining integrieren?
Gerade Go ist das mentale Gegenstück zur Kampfkunst, quasi die geistige Form des Kampfsports. Beim Go konkurrieren beide Seiten darum, ein möglichst großes Gebiet zu erobern. Während es aber im Schach – die spezielle koreanische Variante nennt sich übrigens Janggi – geradlinig darum geht, den feindlichen General auszuschalten, wechseln sich Erfolge und Misserfolge während einer Go-Partie ab und sind oft zunächst gar nicht als solche zu erkennen. Das ist weniger hart als Janggi, erfordert eine sanfte Geisteshaltung, ist eine Art interaktiver Meditation und fügt sich ein in die Philosophie des Taekwondo. Sie liquidieren nicht einfach und brutal die Truppen des Gegners, sondern Angriff und Verteidigung wechseln sich harmonisch ab, während Sie Ihr eigenes Territorium abgrenzen. Und erst in der Schlussabrechnung zeigt sich, wer am Ende erfolgreicher gewesen ist. Go ist damit geistige Kampfkunst in Vollendung. Dennoch will ich auch eine Kombination von Taekwondo und Janggi versuchen.

Führt das gleichzeitige Training von Taekwondo und Go – vielleicht dann auch Janggi – dazu, dass ich sowohl in der geistigen als auch in der körperlichen Kampfkunst besser werde?
Auf jeden Fall ist das hilfreich. Die Selbstdisziplin, die man beim Taekwondo lernt, hilft, Rückschläge am Go-Brett einzustecken und nicht gleich aufzugeben. Enttäuschung und Nervosität dürfen eben nicht übermächtig werden. Umgekehrt sind Niederlagen im Taekwondo gewöhnlich schwer zu ertragen. Da hilft vor allem das sanfte Go, weil es zum Gleichmut erzieht.

Trotzdem bleibt das für unsere Breiten hier ein überraschender Mix: Taekwondo plus Go oder Koreaschach!
In Asien sehen wir das anders. Während der kommenden diesjährigen 16. Asienspiele (12. - 27. November) im chinesischen Guangzhou wird neben den standardmäßigen Körpersportarten sowohl im Go als auch im chinesischen Schach XiangQi – das unserem koreanischen Janggi stark ähnelt – um Medaillen gekämpft.

Und übrigens auch im westlichen Standardschach, das in Deutschland mehrheitlich gepflegt wird.
Der Traum von olympischen Weihen für das königliche Spiel ist in Fernost demnach bereits Realität geworden. Wie lange beschäftigen Sie sich mit Go und Janggi?

Koreaschach hat mir ein Onkel beigebracht, da war ich noch ein Schüler. Go habe ich mir zum ersten Mal vor zehn Jahren intensiver angesehen und ein paar Bücher gelesen. Vom 1. Dan bin ich da allerdings noch weit entfernt, momentan habe ich den 18. Kiyu.

Nebenbei organisieren Sie in Berlin informelle Go-Treffs.
Ja, im »memory café«, Prenzlauer Berg, ganz in der Nähe der U-Bahn-Station Senefelder Platz, jeden Mittwoch ab 17 Uhr.

»Madang«, Zentrum für koreanische Kampfkunst und Kultur, KulturBrauerei, Hof 4, 3. Stock, Schönhauser Allee 36-39, 10435 Berlin; weitere Informationen: www.madang.de

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