Der Krieg zu Hause

Bill Ayers erzählt seine eigene und die Geschichte der militanten Untergrundorganisation Weathermen

  • Gerhard Hanloser
  • Lesedauer: 3 Min.

Niemand, der die außerparlamentarischen Bewegungen der 60er Jahre verstehen will, kann den tief traumatisierenden Vietnamkrieg ausblenden. Es war dieser Krieg, der zur Gründung einer militanten US-amerikanischen Stadtguerilla im »Herzen der Bestie« führte: den Weathermen.

Direkt aus dem US-amerikanischen Studentenbund SDS herausgebildet wollten die Wettermänner und -frauen eine Parole in die Tat umsetzen: »Bring den Krieg nach Hause!« Die Organisation agierte vornehmlich von 1969 bis 1976. Den Namen stiftete ein Song von Bob Dylan.

Wer eintauchen will in die kaleidoskopartige Bewegung, die moralischen Rigorismus, Opferbereitschaft, uramerikanische Gleichheits- und Empörungsemphase verkörperte, die einen kompromisslosen Antiimperialismus mit 60er-Jahre-typischen Entgrenzungsphantasien in der Sexualität wie in der Drogenkultur kombinierte, der sollte die Biographie von Bill Ayers lesen, der zu den Gründungsfiguren der Weathermen gehört.

»Flüchtige Tage« erschien im Original kurze Zeit vor dem 11. September und führte zu einer beispiellosen Hetzkampagne im Präsidentenwahlkampf, weil Barack Obama Kontakte und Bekanntschaft mit dem Autoren nachgesagt wurden.

Das Buch zerstört Mythen: Da ist zum einen der Mythos von der post-faschistischen Dimension des 70er-Jahre-Terrorismus, den es angeblich nur in Italien, Deutschland und Japan gegeben habe. Stimmt nicht. Es gab die Weathermen. Da gibt es den Mythos vom Wahnsinn und dem Pathologischen, die sich im Terrorismus Bahn gebrochen hätten (einen Ton, den leider auch Bernd Volkert in seinem Vorwort anschlägt). Angesichts des Wahnsinns des Vietnamkrieges und den tatsächlich pathologischen Implosionserscheinungen der US-Kriegs-und Konsumgesellschaft wie den mordenden Anti-Hippies der Manson-Familie erscheinen die Weathermen und -women, die mehrere Anschläge auf Regierungsgebäude ohne Tote und Verletzte durchführten, als Statthalter von Moral und Vernunft. Natürlich gab es das Überdrehte im militanten Antiimperialismus der Weatherpeople, Rigorismus, Mao-Kult, das Kritik-Selbstkritik-Spektakel, moralische Überheblichkeit. Aber der Aufbruch der meist aus gutbürgerlichem Hause stammenden Kinder der weißen, nicht immer protestantischen, sondern auch jüdischen Mittelschicht zeigt, dass '68 das Ende der Gleichgültigkeit bedeutete. Man wollte nicht schuldig werden durch Schweigen und Wegschauen, ein Aktivwerden war angesagt. Mit allen Brüchen mit einem bürgerlichen Leben. US-amerikanischer Fortschrittsoptimismus spielte noch beim Glauben an die bald nahende weltweite Revolution eine Rolle. Jüdischer Universalismus fand sich in Formulierungen aus Weather-Erklärungen, wonach nicht trotz, sondern wegen des Holocaust die israelischen Juden die Rechte der Palästinenser anerkennen müssen.

Wenn auch vieles in Ayers Erinnerung ausgespart bleibt und der heutige Professor für Pädagogik selbst immer wieder über die Tücken des Erinnerns reflektiert, ist »Flüchtige Tage« ein Buch, das man empfehlen kann. Heutige Antiimperialisten könnten dank der Lektüre ihren Tugendrigorismus und Antiamerikanismus verlieren, linke Verächter des Antiimperialismus könnte das ergreifende Buch ihre liebgewonnenen Dämonisierungen austreiben.

Bill Ayers, Flüchtige Tage. Erinnerungen aus dem Weather Underground, Ventil Verlag/quiet books, Main/Zürich 2010, 395 Seiten, 24,90 Euro

Der heutige Pädagogikprofessor Bill Ayers war 1969 Gründungsmitglied der US-amerikanischen Untergrundorganisation Weathermen, die in den 1970ern für eine Serie von Bombenanschlägen verantwortlich war. Das Gründungsdokument rief zum Aufbau einer »weißen kämpfenden Kraft« auf, die sich u. a. mit der schwarzen Befreiungsbewegung verbünden sollte, um den US-Imperialismus zu zerstören und eine klassenlose Welt aufzubauen. Nach zehn Jahren im Untergrund stellte sich Ayers 1980 den Behörden. Wegen illegaler Ermittlungsmethoden des FBI wurden alle Anklagen gegen ihn fallen gelassen.

Der 1944 geborene Ayers promovierte 1987 und arbeitet heute als Pädagogikprofessor an der Universität von Illinois. Mit dem Bürgermeister erarbeitete er Mitte der 1990er Jahre ein Schulreformprogramm für Chicago. In dieser Zeit traf Ayers auch den damaligen Senator von Illinois, Barack Obama.

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