Die deodorierte Gesellschaft

Schwitzen – höchste Zeit für eine Image-Korrektur

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Brühe läuft. Sie rinnt uns übers Gesicht und den Rücken. Schweißflecken auf Hemd und Bluse künden von einem Kampf unseres Körpers, der uns rasch peinlich wird. Warum nehmen wir ihn nicht als günstiges Lebenszeichen? »Das Werk eines Meisters riecht nicht nach Schweiß, verrät keine Anstrengung und ist von Anfang an fertig«, hat der amerikanische Maler James McNeill Whistler (1834–1903) befunden. Wollen wir Einsatz und Mühe, aber bitteschön ohne das kleinste Tröpfchen Transpiration?

Die deodorierte Gesellschaft von heute hat die Natur nicht nur von ihren Arbeitsplätzen verbannt, sondern auch aus ihren Achselhöhlen. Nicht nach Schweiß zu müffeln, ist den Menschen einigen Aufwand wert – zumindest in vielen Industriestaaten und zumal dann, wenn die Füße stark zum Schwitzen neigen: Nach einer 2001 veröffentlichten Umfrage unter 3500 europäischen Männern waren Schweißfüße nach Impotenz und etwa gleichauf mit Blasenschwäche jener Makel, über den mit ihrem Arzt zu sprechen die Befragten sich am stärksten scheuten.

Dennoch setzt die Werbung immer wieder auf stark schwitzende Leiber – etwa wenn sie ein Erfrischungsgetränk für ausgepowerte Jogger anpreist oder wenn sich muskelbepackte Schönlinge in schweißnassen T-Shirts bei einer Autopanne mitten in der Wüste nichts sehnlicher wünschen, als eine Cola.

Offensichtlich gibt es guten und bösen Schweiß: Wenn Schamanen zu Schwitzhütten-Ritualen einladen oder wenn, nach Angaben des Deutschen Saunabundes, jede Woche acht Millionen Deutsche auch noch Geld zahlen, um bei Affenhitze aus allen Poren zu triefen, dann ist das willkommen. Wer nach dem Jogging nicht schwitzt, von dem heißt es, er hat sich nicht angestrengt. Dass der nassgeschwitzte Adonis aus der Sportdrink-Reklame hinterher nach Schweiß riecht, wird indes gerne verdrängt. Nicht umsonst ließen sich die Bundesbürger den Kampf gegen üble Achselgerüche im Jahr 2009 nach Angaben des Industrieverbandes Körperpflege und Waschmittel (IKW) rund 689 Millionen Euro kosten.

Selbst mit Hightech wird dem Schwitzen quasi der Hahn zugedreht: In der Hamburger Klinik Pöseldorf zum Beispiel entfernt Klinikdirektor Holger Fuchs, ein Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie, übermäßig aktive Schweißdrüsen zum Beispiel in den Achselhöhlen mit einem Laserlipolyse-Gerät, das ansonsten im Kampf gegen Fettzellen eingesetzt wird. »Die Schweißdrüsen schmelzen unter der Energie des Lasers einfach dahin«, heißt es in einer Klinik-Information. Eingesetzt werde die Methode bei Menschen mit überdurchschnittlich ausgeprägter Achselnässe – für die Betroffenen ein »ernstes Problem, das nicht nur die Psyche angreift, sondern auch den beruflichen und privaten Alltag bestimmt«.

Eine Gesellschaft, deren Mitglieder selbst in brenzligen Situationen cool bleiben möchten, muss das ungewollte Schwitzen verfemen – und begeht dabei Fehler. »Dicke schwitzen wie die Schweine«, sang Marius Müller-Westernhagen einst, für ihn ein guter Grund, froh über seine Schlankheit zu sein. Doch der Barde irrte gleich doppelt.

Denn erstens können Schweine mangels Schweißdrüsen gar nicht schwitzen. Und mehr als Dünne schwitzen Dicke »nicht unbedingt«, sagt der Hautarzt Professor Gerhard Kolde vom Dermatologischen Zentrum Berlin. Es kommt sehr auf die körperliche Fitness an – ansonsten kursieren viele widersprüchliche Informationen zu dieser Frage.

Grundsätzlich aber gilt laut Kolde: »Für einen Dicken ist schon wenig Bewegung vergleichsweise anstrengend und deshalb mit Schwitzen verbunden.« Und zweitens: Sportmuffel schwitzen – nur scheinbar paradoxerweise – später als sportliche Menschen. Leistungssportler schwitzen in der Regel sogar deutlich früher als Untrainierte und müssen dies auch, wobei ihr Schweiß pro Milliliter weniger Elektrolyte als bei Untrainierten enthält. Er ist mithin »weniger konzentriert«, wie Professor Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule in Köln hinzufügt. So hält der Vorrat an den wichtigen Körpersalzen länger an, obwohl der Schweiß läuft. Untrainierte haben also schneller »kein Salz mehr«.

Man schwitzt demnach nicht nur umso mehr, je mehr man sich körperlich fordert, sondern auch umso eher, je trainierter man ist. Denn die Schweißdrüsen des Körpers haben quasi gelernt, rascher und ergiebiger auf überschüssige Körperwärme zu reagieren, damit ein Hitzschlag möglichst unterbleibt. Ab etwa 29 Grad Lufttemperatur muss jeder Körper transpirieren, selbst ein ruhender.

Eine dicke Fettschicht über den gut durchbluteten, bei Anstrengung erhitzten Muskeln erschwert die Abgabe der vermehrten Körperwärme an die Umgebung, so dass sich bei dicken Menschen Wärme im Körper eher zu stauen droht – noch dazu begünstigt durch eine im Verhältnis zum Körpervolumen kleinere Oberfläche zum Abstrahlen der Überschusswärme. Dieser Nachteil der Dicken begünstigt indes ihr Überleben, wenn sie in kaltes Wasser fallen: Besser isoliert, können sie dort länger überleben als hagere Menschen.

Damit wäre geklärt, warum wir überhaupt schwitzen: Als gleichwarme Lebewesen können wir so unsere Innentemperatur regeln, ohne uns wie Schweine zum Abkühlen in Schlamm- und Wasserbädern suhlen zu müssen. Denn Stoffwechsel und Muskelarbeit erzeugen ständig Wärme, die wir über die Atemluft, vor allem aber über die Haut abgeben müssen. Denn unsere Körpermaschine verschleudert in grotesker Weise Energie: Für jede in Muskelkraft umgesetzte Kalorie gehen drei Kalorien an Abwärme verloren. Lebensgefährlich zu überhitzen drohen deshalb Menschen, die an Anhidrose (hidros: griechisch für Schweiß) leiden und nicht schwitzen können. Solche Störungen sind erblich bedingt, etwa beim Christ-Siemens-Touraine-Syndrom, gottlob aber äußerst selten, anders als übermäßiges Schwitzen.

Wenn auf der Haut Schweiß verdampft, entzieht das dem Körper Wärme, und zwar effektiv: Um einen Liter Wasser zu verdampfen, sind 2400 Kilojoule Wärme nötig. Jeden Tag, auch nachts, verdunsten wir mindestens einen halben Liter Schweiß – bei extremer Hitze sogar bis zu einem Liter pro Stunde, und Sportler, die sich bei Hitze plagen, oder Hochofenarbeiter bis zu vier Liter.

Selbst beim Schwimmen schwitzen wir – allerdings nur, wenn wir uns dabei sehr anstrengen, denn das Wasser führt Körperwärme sehr viel besser ab als gut isolierende Luft. Leistungsschwimmer verlieren pro Stunde ungefähr einen Drittelliter Schweiß, hat Uwe Wöllstein an der Abteilung Sportphysiologie der Universität Mainz herausgefunden. Schweißflecken an den Achselhöhlen müssen Schwimmer aber zum Glück nicht befürchten.

Verkommenes Image

In früheren Zeiten war Schweiß ein Merkmal ehrlicher Arbeit, was noch zum Ausdruck kommt, wenn wir sagen, eine sinnvolle Neuerung sei »den Schweiß der Edlen wert«. Ob die Edlen später unedel gerochen haben, wollte früher offenbar niemand wissen. »Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß«, dichtete Friedrich Schiller in seiner »Glocke«, und sozusagen ins selbe Horn stieß Hesiod, der griechische Epiker, als er vor 2700 Jahren schrieb: »Schweiß verlangen die Götter, bevor wir die Tugend erreichen.«

So dachte wohl auch Ferdinand Freiligrath (1810-1876), als er die Verse notierte: »Ehre jedem Tropfen Schweiß, der in Hütten fällt und Mühlen!« Doch während der Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie »Ehre für jede nasse Stirn hinterm Pfluge« forderte, deutet das sorbisches Sprichwort »Leuteschweiß würzt Herrenspeis« an, dass nicht jedem beim Versuch zu überleben der Schweiß aus den Haaren rinnen muss. Keineswegs muss jeder sein Brot im Schweiße seines Angesichts verzehren und damit ausbaden, dass Adam und Eva gegen göttliches Gebot vom Baum der Erkenntnis genascht haben.

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