Mit Leidenschaft zur Perfektion

Wie junge Sprayer den Ausstieg aus der illegalen Szene schafften

  • Barbara Staacke
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Wand besprühen – und das ganz legal. Das ließen sich die Knirpse an der Senftenberger Straße nicht zweimal sagen. Mitarbeiter des Vereins »Kids & Co.« hatten eigens mit Jugendlichen Übungswände gezimmert. Dass die sonst so begehrte Skaterbahn auf dem Liberty-Park in Hellersdorf da nur wenig Beachtung fand, stößt bei einem Graffiti-Künstler wie Jörn Reiners auf volles Verständnis. »Wir waren schließlich auch mal jung«, so der 36-Jährige, während er den Kindern den Umgang mit der Dose demonstrierte und ihnen erklärte, wie man Skizzen anfertigt und die Farben mischt.

»Hätten wir damals nicht die Chance ergriffen, wäre unsere Entwicklung sicher anders verlaufen«, sind er und seine Partner Marco Bollenbach und Marco Brandt überzeugt. Die Freunde haben nicht nur den Ausstieg aus der illegalen Szene geschafft, sondern aus ihrer Leidenschaft einen Broterwerb gemacht. Sie gehören heute zu den wenigen Firmen der Branche in Deutschland, die sich auf dem Markt etablieren konnten.

»Wir waren es leid, kaum mehr als unsere Namen in der Stadt hinterlassen zu können. Für aufwändigere Produktionen blieb keine Zeit. Bestand doch ständig das Risiko, erwischt zu werden«, erzählt Marco Bollenbach. Doch eines Tages sollte ein Angebot ihr Leben verändern. Sie erhielten von einem Wohnungsunternehmen einen Auftrag für ein Wandbild. Das war der Wendepunkt von den Tags zur Kunst. Fortan beschäftigten sich die damaligen Teenager mit dem Bildaufbau, wälzten Bücher und eigneten sich autodidaktisch das Wissen einer klassischen Zeichenschule an.

Die Aufträge wurden von Mal zu Mal mehr. Es wurden so viel, dass sie schließlich ihre Firma »xi-design« gründeten. Inzwischen sind sie über 30 und können auf solide Berufsabschlüsse verweisen. Bollenbach ist gelernter Mediengestalter, Brandt hat Medienproduktion studiert und Reiners ist Architekt. Dennoch sind die in Reinickendorf aufgewachsenen Männer bei der Sprühdose geblieben, das allerdings auf anderem Niveau. Das Malen, so nennen sie das Sprayen mit der freien Hand, sei ihr Leben. Mit dem Projektor oder anderen Hilfsmitteln könne das schließlich jeder. »Den leichten Weg wollten wir nie, sondern die Besten sein«, betonen sie.

Und die Ergebnisse sprechen für sich. Ob die Schwimmer, die an den Wänden des Potsdamer Olympiastützpunktes am Luftschiffhafen ihre Bahnen ziehen, die Fassade des Jugendwohnheimes in Frankfurt/Oder, die das Miteinander der Generationen darstellt, oder die Fassaden von Freizeitzentren in Prenzlau – an vielen Orten stößt man auf ihre Spuren.

Dass sie zudem die Kunst des Airbrush-Designs beherrschen, unterstreicht ihre Kreativität. Da schlängelt sich ein Feuer speiender Drache um die Karosse eines Pkw, und auf dem Abschleppwagen treiben Engel und Teufel ihren Schabernack. Auch in TV-Sendungen und Auto-Shows sind sie gern gesehene Gäste. »Wir sind dort, wo unsere Kunst gefällt«, unterstreicht Architekt Jörn Reiners. Das ist inzwischen europaweit. Dabei vergessen sie den Nachwuchs nicht. Erst unlängst verzierten sie die Giebelwand der Hellersdorfer Jugendeinrichtung »Senfte 10«. Im vergangenen Jahr versahen sie die Rampen der Halfpipes mit neuen Motiven, kostenlos, versteht sich.

»Man sollte die Chance beim Schopf packen und sich weiterbilden, wenn man etwas erreichen will«, geben sie den Kindern mit auf den Weg. Und die drei haben Eindruck hinterlassen. Eines Tages wollen auch Danny, Kevin und Richard richtig Kunst machen .

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