Die Diskriminierung von Bewerbern um einen Arbeitsplatz aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Alter ist in Frankreich sehr verbreitet. Oft reicht schon, dass ein Bewerber in einem »Problemvorort« wohnt und einen arabischen oder afrikanischen Namen trägt, um seine Bewerbung im Papierkorb landen zu lassen.
Das musste sogar der ehemalige Chef des Versicherungskonzerns AXA, Claude Bébéar, einräumen, den die Rechtsregierung im Jahr 2004 mit einer Studie »Die Unternehmen in den Farben Frankreichs« beauftragt hatte. Er griff darin den schon seit Jahren von Gewerkschaften, Bürgerrechtsvereinigungen und linken Parteien vorgebrachten Vorschlag auf, einen »anonymen Lebenslauf« bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz einzuführen. Allen Befürwortern ist klar, dass diese Maßnahme kein Wundermittel zur Überwindung der Diskriminierung ist. Aber immerhin hilft sie, dass eine Bewerbung unvoreingenommen behandelt wird und es zu einem Vorstellungsgespräch kommt, wo dann – hoffentlich – allein aufgrund der beruflichen Kompetenzen der Bewerber entschieden wird.
Das Instrument des »anonymen Lebenslaufs« wurde in das Gesetz über Chancengleichheit aufgenommen, das 2006 vom Parlament verabschiedet wurde, und für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten vorgeschrieben. Zwar schrieb sich auch Nicolas Sarkozy im Präsidentschaftswahlkampf 2007 dieses vor allem von der Linken verfochtene Thema auf die Fahnen, doch seine Regierung hat bis heute keine Ausführungsbestimmungen ausgearbeitet, so dass das Gesetz immer noch nicht in Kraft ist. Offensichtlich soll sogar der Geist des Gesetzes ausgehebelt werden. Der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Laurent Wauquiez, versicherte vor Unternehmern, dass der »anonyme Lebenslauf« keinesfalls für alle verbindlich gemacht werden soll.
Wohl um dies zu kaschieren, hat die Rechtsregierung im vergangenen Herbst einen auf sieben Departements beschränkten Test für »anonyme Bewerbungen« gestartet, an dem die Arbeitsämter und auf rein freiwilliger Basis rund 50 Unternehmen teilnehmen, darunter AXA, die Hotelkette Accor, die Pariser Verkehrsbetriebe, der Autohersteller PSA-Peugeot Citroën und der Kosmetikkonzern L'Oréal sowie die Zeitarbeitsfirmen Adecco, Adia und Manpower. Dabei erfolgt die Anonymisierung, indem die Bewerbung und der Lebenslauf durch eine private oder öffentliche Vermittlungsagentur so bearbeitet werden, dass daraus allein der Bildungsweg, die Berufsausbildung, die erworbenen Diplome und die Berufspraxis hervorgehen. Name, Geschlecht, Alter, Familienstand, Adresse, Staatsangehörigkeit und nationale Herkunft bleiben ungenannt; natürlich werden auch Fotos entfernt. Danach werden die Bewerbungen an die Unternehmen weitergeleitet, die einen Arbeitsplatz besetzen möchten.
Vorbehalte gegen dieses Vorgehen werden meist mit den Mehrkosten durch die Anonymisierung begründet oder damit, dass sich die Diskriminierung nur eine Bewerbungsebene weiter verschiebt. Heftig umstritten ist das Argument von Unternehmern, zur Gesamtbeurteilung brauche man Charakteristika eines Bewerbers, die auch aus seiner ethnischen Herkunft herrühren, nicht zuletzt um ihn positiv fördern zu können. Der Verband CGPME, der vor allem kleine und mittlere Unternehmen vertritt, erklärte: »Wir sind entschieden für den Kampf gegen Diskriminierung, aber ebenso entschieden gegen eine Verkomplizierung und Verteuerung der Stellenausschreibungen, zumal unsere Unternehmen meist über keine Personalabteilungen verfügen.«
Im Herbst soll Bilanz des landesweiten Tests mit den »anonymen Bewerbungen« gezogen werden. Schon jetzt ist aber klar, dass eine Lösung des Problems immer dringender wird. So wurden im Jahr 2006 bei der französischen Antidiskriminierungsbehörde HALDE noch rund 500 Beschwerden über offensichtliche Diskriminierungen bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz eingereicht. Im vergangenen Jahr waren es schon 1300.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/177173.halbherziges-ja-zu-anonymen-bewerbungen.html