Pressestelle

Eine Frage der Schwere

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Kriterium, an dem die Bedeutung eines Gerichtsverfahrens und die Schwere des behandelten Delikts gemessen wird, ist der sogenannte Streitwert. Dieser wäre theoretisch auch für die Berichterstattung eine hilfreiche Orientierung. Je nach Höhe des der Gesellschaft entstandenen Schadens bzw. der vom mutmaßlichen Delinquenten eingestrichenen Summe, könnte sich der Grad der Hysterie richten, in den sich die betreffenden Redakteure hineinsteigern. Leider verhält es sich meist umgekehrt, wie der »Tagesspiegel« in seiner Ausgabe vom 12. August demonstriert.

Hier widmen sich die Redakteure einerseits dem Fall des Ex-Bankers Klaus Landowsky (CDU), andererseits einem mehrfach ohne Führerschein erwischten Autofahrer. Angesichts der jeweiligen Streitwerte müsste klar sein, bei welcher Causa eher Empörung und Polemik angebracht wäre. Bei Landowsky variiert jener Wert zwischen 1,5 Millionen Euro (Schaden durch mutmaßliche Untreue) und 23 Milliarden Euro (Bürgschaft des Landes), beträgt mindestens aber 20 000 Euro (illegale Spende). Der durch den papierlosen (aber wohl unfallfreien) Autofahrer entstandene gesellschaftliche Schaden bewegt sich zwischen Null und, für etwaige Verfahrenskosten, einigen Hundert Euro.

Für die Journalisten geht es im Falle des Autofahrers aber in Ordnung, dass »einen wie ihn« keine Streifenpolizisten »holen«, sondern er vom Einsatzkommando »aus der zerschlagenen Scheibe eines Porsches gezogen« wurde. Schließlich gehört der Mann »offenbar« zum »einschlägig bekannten Abou-C.-Clan«, ist »seit Jahren aktenkundig« – da darf man nicht zimperlich sein, auch verbal. »Wieso sitzt der Mann nicht in Haft, fragen einige«, so der »Tagesspiegel«, und fragt / fordert doch eigentlich selber.

Wieso Landowsky nicht in Haft sitzt, wird nicht gefragt. Statt dessen wird ihm bescheinigt, das Verfassungsgericht habe »aus einem Vorbestraften über Nacht« wieder »den unbescholtenen Bürger« gemacht, für den der sich selber immer gehalten habe. Mitfühlend wird der Absturz des ehemaligen Strippenziehers skizziert, der sich nun zum Kämpfer für seine Ehre stilisiert. »Die Folgen waren für Landowsky fatal und schmerzhaft« oder »kränkend muss die Ächtung gewesen sein«, nachdem der Verbal-Rambo aus seinen Netzwerken gefallen sei. Zu guter Letzt wird Landowsky sogar noch zum Streiter für den »Berliner Wohlstand« geadelt: »Dafür hat er immer gearbeitet.« Mehr kann sich ein mutmaßlicher Millionen-Veruntreuer von den Medien nicht wünschen.

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