nd-aktuell.de / 20.08.2010 / Wissen / Seite 16

Raus aus der Hinterhof-Moschee

Islamischer Religionsunterricht könnte den Trialog der Kulturen und Weltreligionen in Deutschland verbessern

Jürgen Amendt
Islamischer Religionsunterricht hat in Deutschland nach wie vor einen Exotenstatus. Doch die Muslime drängen auf Anerkennung. Wissenschaftler sehen darin auch den Wunsch nach besserer Integration.

Die Regenbogen-Grundschule in Berlin-Neukölln liegt inmitten eines sozialen Brennpunkt-Kiezes, die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ist nicht-deutscher Herkunft. Dennoch ist die Bildungsstätte eine Vorzeigeschule. Das liegt u.a daran, dass man es hier geschafft hat, den Dialog zwischen den Kulturen in Gang zu bringen. Die Schule nahm mehrfach erfolgreich am Wettbewerb »Trialog der Kulturen« der Herbert-Quandt-Stiftung teil.

Initiiert wurde das Projekt von den Religionslehrern der Schule. Eine dieser Lehrkräfte ist Aynur Bulut. Für das Projekt hat sie in einer Klasse mit Eltern und Schülern über die Zehn Gebote im Christentum und das Glaubensbekenntnis im Islam diskutiert. Seit einigen Jahren lehrt die gebürtige Türkin im Auftrag der Islamischen Föderation Berlin (IFB) an der Schule islamischen Religionsunterricht. Anders als in den meisten anderen Bundesländern wird in der Hauptstadt der Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung der Glaubensgemeinschaften erteilt, die Schulen müssen lediglich Räume und Unterrichtszeiten zur Verfügung stellen.

In Aynur Buluts sechster Klasse steht derzeit Korankunde auf dem Lehrplan. Zehn Schülerinnen und ein Schüler sitzen mit ihrer Lehrerin am Tisch. Thema heute: Wie findet man im Koran bestimmte Verse zu bestimmten Themen? Aynur Bulut hat dazu einen ganzen Stapel von Koran-Büchern mitgebracht, allesamt in Deutsch. Die Zwölfjährigen erfahren auf diese Weise u.a. auch, dass die Geschichte von Jonas und dem Wal nicht nur in der Bibel, sondern auch in der Sure 10 im Koran erzählt wird.

Aynur Buluts Raum für den Religionsunterricht ist ein Klassenzimmer wie jedes andere, nur dass statt selbst gemalten Bildern von der letzten Klassenfahrt Bilder von der Hadsch (der Pilgerfahrt ins heilige Mekka), das islamische Glaubensbekenntnis und Sprüche des Propheten Mohammed an der Wand hängen. Aynur Bulut kam mit acht Jahren aus der Türkei nach Deutschland, später absolvierte sie in der Türkei eine Ausbildung als Grundschullehrerin und siedelte 2002 nach Berlin über. »Anfangs hatte ich gar nicht vor, Religionslehrerin zu werden«, sagt sie, »doch nur in diesem Fach kann ich mein Kopftuch auch im Unterricht tragen.« Im Unterricht ist ihr vor allem eines wichtig: den Kindern die Angst vor der Religion zu nehmen. Viele ihrer Schüler stammten aus einem Milieu, in dem ein strafendes Gottesbild vermittelt werde, erklärt sie. Dieses Gottesbild möchte sie korrigieren.

Lehrerinnen wie Aynur Bulut gehören mittlerweile an einer Reihe von Berliner Grundschulen wie selbstverständlich zum Alltag. Doch das war nicht immer so. Die Islamische Föderation musste sich das Recht auf Erteilung eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts vor neun Jahren erst vor dem Berliner Verwaltungsgericht erstreiten. An zwei Grundschulen begann die Organisation im Jahre 2001 mit dem islamischen Religionsunterricht. Heute nehmen daran an rund 32 Grundschulen etwa 5000 Schülerinnen und Schüler teil.

Dieser sah sich anfangs starker Kritik ausgesetzt. Schulleiter klagten u.a. über das schlechte pädagogische Niveau des Unterrichts. Darauf hat IFB mit Fortbildungsmaßnahmen reagiert. Seitdem sind die kritischen Stimmen weniger geworden. Der Dachverband von zwölf Berliner Moscheen will noch einen Schritt weiter gehen: Demnächst soll es ein eigenes Ausbildungsprogramm für den Beruf des islamischen Religionslehrers geben. Voraussetzung dafür ist ein Hochschulabschluss in den Fachrichtungen Islam- oder Religionswissenschaften bzw. ein Lehramtsstudium.

Bundesweit werden mittlerweile muslimische Eltern aktiv und fordern ihr Recht auf einen bekenntnisorientierten Islam-Unterricht ein. Die Bildungsexpertin der nordrhein-westfälischen GEW, Inge Führer-Lehner, sieht das positiv. »Die Initiative geht oft von jüngeren Muslimen aus, die den Islam aus dem Ghetto der Hinterhof-Moscheen holen wollen und fundamentalistischen Strömungen im Islam ablehnend gegenüberstehen«, sagt sie. NRW war das erste Bundesland, in dem das Fach Islamkunde in deutscher Sprache angeboten wurde. Mit dem Lehrstuhl für Religion des Islam an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster gibt es dort seit 2004 zudem den bundesweit ersten Lehrstuhl für islamische Theologie.

Die deutsche Politik tut sich allerdings noch schwer mit der Gleichberechtigung von Christentum und Islam. Doch auch hier werden die Schützengräben allmählich verlassen. Unlängst erst hat sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) für die Einrichtung neuer Islamlehrstühle ausgesprochen. Es habe der christlichen Theologie gut getan, sich an den weltlichen Universitäten anzusiedeln; gleiches werde für die islamische Theologie gelten, meinte die Ministerin in einem Interview mit der Wochenzeitung »Die Zeit«.

Unterstützung erhält sie von islamischen Wissenschaftlern wie dem Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan. »Wenn man weiß, dass die Lehrer von staatlichen Universitäten kommen, schwinden auch die Vorurteile«, meint der Erziehungswissenschaftler und Psychologe. Haci-Halil Uslucan, der jüngst erst den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen in einer Studie unter die Lupe genommen hat, sieht in dem verstärkten Wunsch vieler muslimischer Eltern nach einem islamischen Religionsunterricht auch die Bemühung der Muslime nach einer besseren Integration. Viele Eltern, so der türkischstämmige Wissenschaftler, bemängelten die Ungleichbehandlung des muslimischen Glaubens in der Schule gegenüber den beiden christlichen Konfessionen.

Diese Benachteiligung kritisiert auch Lamya Kaddor. Die syrischstämmige Islamwissenschaftlerin und ehemalige Islamlehrerin spricht sich deshalb in ihrem jüngsten Buch (»Muslimisch – Weiblich – Deutsch! Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam«, C.H. Beck Verlag, München 2010) für islamische Religionskunde als ordentliches Unterrichtsfach an deutschen Schulen aus. Der Politik empfehlen die beiden Experten, nicht zu warten, bis die muslimische Seite einen zentralen Ansprechpartner in Deutschland geschaffen hat. »Wichtig sind Lösungen auf lokaler Ebene«, sagt Uslucan. »Die zuständigen Stellen müssen versuchen, mit Zusammenschlüssen von muslimischen Organisationen vor Ort Vereinbarungen zum islamischen Religionsunterricht zu treffen.«