nd-aktuell.de / 20.08.2010 / Politik / Seite 13

Regierungschefs aus der Kiste

In den Bundesländern häufen sich überraschende Wechsel auf politischen Spitzenposten

Sönke Möhl, dpa
Seehofer statt Beckstein, McAllister statt Wulff und jetzt wahrscheinlich Ahlhaus statt Beust – lange vor den nächsten Wahlen sind in vielen Ländern die einstigen Spitzenkandidaten der Parteien nicht mehr Regierungschefs. Manch Wähler fühlt sich um seine Stimme betrogen.

Hamburg. Konnten die Hamburger 2008 ahnen, dass sie nach gut zwei Jahren Christoph Ahlhaus (CDU) bekommen könnten, als sie Ole von Beust (CDU) noch einmal zum Bürgermeister machten? Noch vor wenigen Wochen wiederholte Beust, er sei nicht amtsmüde. Kaum gesagt, schon zurückgetreten. Viele Hamburger äußerten sich enttäuscht, manche fühlen sich gar um ihre Stimme betrogen.

Rücktritte und vorzeitige Wechsel hat es immer gegeben. Ein Beispiel ist Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD), der sein Amt 1981 im Streit mit der eigenen Partei aufgab. Auch Gerhard Glogowski (SPD), der 1998 nach der Bundestagswahl für Gerhard Schröder niedersächsischer Ministerpräsident wurde, trat schnell wieder zurück. Doch die Fälle häufen sich. Immer öfter bekommen Wähler eine Überraschung präsentiert. In Niedersachsen ist David McAllister seit dem 1. Juli Ministerpräsident. Die Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Landtag wählte den bisherigen CDU-Fraktionschef zum Nachfolger von Christian Wulff (CDU), der das Amt des Bundespräsidenten übernommen hatte. Keine leichte Aufgabe für McAllister, denn er tritt die Nachfolge von Wulff zu einem Zeitpunkt an, an dem das Land mehr als 1,3 Milliarden Euro im Etat für 2011 einsparen muss. Zudem hatte Wulff wenige Monate vor seinem Wechsel das Kabinett umgebildet und vier der sieben CDU-Minister ausgetauscht.

Merkel mischt mit

Seit dem 10. Februar hat Baden-Württemberg mit Stefan Mappus (CDU) einen neuen Regierungschef. Fast über Nacht war Ministerpräsident Günther Oettinger von Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) im Herbst 2009 zum EU-Kommissar für Energiefragen berufen worden. Während Oettinger für eine liberale Großstadt-CDU stand, gilt Mappus, der eine seit 1996 bestehende CDU/FDP-Koalition führt, als konservativer Haudegen. Am 27. März 2011 wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) war nicht erste Wahl – Spitzenkandidat vor der Landtagswahl 2008 war sein Vorgänger Günther Beckstein. Der musste gehen, weil die CSU nach einem knappen halben Jahrhundert ihre absolute Mehrheit verloren hatte. Seitdem ist zwar wieder einigermaßen Ruhe in der CSU, doch von der Rückeroberung der absoluten Mehrheit ist die Partei weit entfernt.

In Mecklenburg-Vorpommern drückte Harald Ringstorff im Oktober 2008 das Ruder seinem zehn Jahre jüngeren Nachfolger Erwin Sellering (beide SPD) in die Hand. Zehn Jahre lang hatte der populäre Mecklenburger das Küstenland geführt, acht Jahre davon an der Spitze der maßgeblich von ihm vorangetriebenen bundesweit ersten rot-roten Landesregierung. Neben Ringstorff gingen 2006 mit Sigrid Keller und Otto Ebnet noch zwei einflussreiche SPD-Minister von Bord. Seinen Posten als Sozialminister trat Sellering an die aufstrebenden Schweriner Kommunalpolitikerin Manuela Schwesig ab. Die nächste Landtagswahl ist im September 2011.

Die Thüringer CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht gehört auch zu den Wähler-Überraschungen. Im Herbst 2009 waren die Christdemokraten noch mit Spitzenmann Dieter Althaus in die Landtagswahl gegangen. Sie spitzten den Wahlkampf auf ihn zu, obwohl er nach seinem Skiunfall, bei dem eine Frau starb, körperlich und psychisch angeschlagen war. Als die CDU fast zwölf Prozent verlor, sank sein Stern rapide. Er wollte sein Amt jedoch nicht aufgeben. Lieberknecht musste ihm die Macht regelrecht entreißen, um mit der SPD in Koalitionsverhandlungen treten zu können.

Kochs Überraschung

In Hessen hat Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nach elf Regierungsjahren im Mai seinen Rückzug für Ende August angekündigt. Er wolle etwas anderes machen als Politik, lautet seine Begründung. Zwar war in Hessen erwartet worden, dass Koch nicht mehr für die nächste Landtagswahl Ende 2013 antritt, trotzdem war der Zeitpunkt überraschend. Angesichts des raschen Wechsels kam als Nachfolger nur der erfahrene Innenminister Volker Bouffier infrage, den die Hessen-Union inzwischen mit 96 Prozent zum neuen Landesvorsitzenden gewählt hat.