nd-aktuell.de / 02.09.2010 / Kultur / Seite 10

Fall aus allen Wolken

Zwischen uns das Paradies - von Jasmila Zbanic

Alexandra Exter

Amar löst alle seine Probleme mit Alkohol, auch die, die er vor dem Trinken gar nicht hatte. Wenn er in der Kneipe versackt und Luna ihn trotzdem findet, lässt er ihr von der Balkan-Band Ständchen bringen und grölt ins Telefon, wie sehr er sie liebe. Wenn Amar nicht getrunken hat, geht es den beiden gut miteinander. Dann lieben sie sich beim Schein der Ikea-Lampe auf dem Nachttisch, und lassen, weil es trotz unverkrampfter Körperlichkeit und leidenschaftlicher Intimitäten mit dem Nachwuchs bisher nicht hat klappen wollen, beider Fruchtbarkeit untersuchen.

Luna (Zrinka Cvitesic) ist Stewardess, Amar (Leon Lucev) Fluglotse, sie teilen eine Wohnung über den Dächern von Sarajevo und es scheint, als trüge nur noch Lunas Großmutter schwer am Verlust von Haus und Heimat in den Kriegswirren. Dann wird Amar suspendiert, weil man ihn beim Trinken erwischte. Er baut einen Unfall – und fährt dabei ausgerechnet in den Wagen eines alten Kriegskameraden. Dass der inzwischen Bart und Kopfbedeckung eines orthodoxen Muslim trägt, Frauen grundsätzlich nicht die Hand gibt und seine eigene Frau vollverschleiert im Wagen sitzen lässt, veranlasst Amar zunächst nur dazu, Luna gleich noch ein bisschen heftiger zu küssen.

Als den Freund später wieder trifft, erzählt der davon, wie ihm der unerwartet gefundene Glaube aus der Blockade durch die Kriegstraumatisierung half. Und Amar wird, Arbeit hat er ja eh nicht mehr und die Nachrichten von der Befruchtungsfront sind auch nicht besonders gut für sein männliches Selbstbewusstsein, neugierig. Im Ferienlager der wahhabitischen Gemeinde ist ein Job zu haben, also fährt er hin. Und glaubt schon nach ein paar Wochen im streng reglementierten Camp, er habe den einzig seligmachenden Weg gefunden. Plötzlich ist das »Gesetz Gottes« wichtiger als das der Menschen, vorehelicher Sex Sünde, die Vielweiberei kein Problem und arrangierte Ehen mit Minderjährigen auch nichts, worüber man sich groß aufregen müsste. Luna versteht ihren Freund, versteht seine Sicht auf die Welt nicht mehr.

Die Bosnierin Jasmila Zbanic, die vor vier Jahren mit ihrem Kriegsopferdrama »Esmas Geheimnis« den Goldenen Bären gewann, beschäftigt sich auch in ihrem zweiten Spielfilm mit dem Zustand der bosnischen Gesellschaft, fünfzehn Jahre nach Kriegsende. Einer Gesellschaft zwischen Laizismus und Religiosität, zwischen einer urbanen Spaßgesellschaft westlichen Zuschnitts mit all ihren Folgelasten an Konsumismus und Oberflächlichkeit und der bedingungslosen Unterwerfung unter importierte Regelwerke. Dass es neben der Flucht in ritualisierte Gemeinschaften, die dem orientierungslosen Einzelnen das Denken abnehmen, auch andere Modelle islamischen Lebens geben kann, zeigt Zbanic am Beispiel von Lunas Familie. Ein bildlich schöner Film mit einer vielleicht allzu schlicht gestrickten Narration.