nd-aktuell.de / 06.09.2010 / Kultur / Seite 4

Fremder Blick

María S. Cristoff / Die Argentinierin wird Stadtschreiberin in Leipzig

Irmtraud Gutschke

Aus Patagonien nach Leipzig: aus der Wildnis ins Wohlgeordnete. Aber María Sonia Cristoff, 1965 in Trelew, Patagonien, geboren, lebt inzwischen in der Metropole Buenos Aires. Da dürfte ihr Leipzig eher schon biedermeierlich-provinziell vorkommen. Einen Monat lang in fremder Umgebung – ihre Erlebnisse wird sie in einem Internettagebuch festhalten. So wie die anderen vier argentinischen Autoren – Ariel Magnus, María Negroni, Alan Pauls, Pablo de Santis –, die im Zuge des Austauschprojektes »Rayuela« vor der Frankfurter Buchmesse, bei der Argentinien Ehrengast ist, in deutschen Städten wohnen. Dafür werden Alissa Walser, Christoph Simon, Ulf Stolterfoht, Rayk Wieland und Ron Winkler argentinische Erfahrungen sammeln dürfen.

María Sonia Cristoff hat in Buenos Aires Literatur studiert und ist dort seit den 1980er Jahren als Journalistin tätig. Als Schriftstellerin hat sie sich vor allem mit ihrer Heimatregion Patagonien auseinandergesetzt. »Argentinische Gespenster. Reportagen vom Ende der Welt« – ihr erstes Buch auf Deutsch – erscheint in diesen Tagen im Berenberg Verlag. Für Leute, die Argentinien kennenlernen wollen, sei es »ein perfekter Schlüssel«, auch wenn man damit das Land sozusagen durch einen »Nebeneingang« betritt, heißt es aus dem Verlag. Offenbar hat die Autorin die Gabe, in diesen fernen, ja »gottverlassenen Orten« die Geschichte des ganzen Landes zu reflektieren. Vor Jahren gab es einen Ölboom in Patagonien; nur Überreste sind geblieben. Ein vergessenes Land, ein zerstörtes Land: Wie lebt man mit gescheiterten Projekten, gescheiterten Hoffnungen? María Sonia Cristoff suchte und fand solche Menschen und zollt ihnen Respekt. Auf eindringliche Weise erzählt sie ihre Geschichten. Da darf man gespannt sein, wie die weit Gereiste nun das Leben in Leipzig empfindet. Satter, selbstzufriedener? Wird sie der Not gewahr werden, die sich darunter oft verbirgt?

Der Name des Austauschprojekts »Rayuela« leitet sich übrigens von einem Meisterwerk des Argentiniers Julio Cortázar her und bezieht sich auf ein Kinderspiel, das im Deutschen »Himmel und Hölle« heißt. Im Mittelpunkt Horacio Oliveira, der für sein Leben vergeblich den »Himmel« sucht ...