Rückkehr in die Gegenwart

Baumeister Hermann Blankenstein findet 100 Jahre nach seinem Tod wieder Beachtung

  • Barbara Staacke
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor der Kirche gibt's Kaffee.
Vor der Kirche gibt's Kaffee.

Schon vom S- und U-Bahnhof Wuhletal zeichnen sich am Horizont die Backsteinbauten mit ihren Türmchen ab. Nördlich der Alten Treptower Straße erreicht man das ehemalige Gelände des Wilhelm-Griesinger-Krankenhauses.

Hübsche Häuser im Landhausstil reihen sich aneinander. Ob am Rondell, auf der Wiese oder am Tiergehege, überall findet sich ein Plätzchen. Vor der Kirche stehen Tische und Stühle. Jürgen Hellmann schenkt Passanten Kaffee ein. Der frühere Elektromeister gehört zu den Ehrenamtlichen des Vereins Wuhlgarten, die hier jeden Nachmittag die Stellung halten. Das Gotteshaus im Zentrum des denkmalgeschützten Ensembles bereichert mit Konzerten, Theater und Lesecafé das Kulturangebot des Bezirkes. Dafür engagieren sich seit Jahren eine Interessengemeinschaft und der Verein, neuer Eigentümer des früheren Vivantes-Sakralbaues.

Immer mehr Ausflügler nutzen die Gelegenheit, um das Terrain zu erkunden. Der zum Biesdorfer Rittergut gehörende grüne Landstrich erschien Baustadtrat Hermann Blankenstein (1829-1910) Ende des 19. Jahrhunderts für die geplante »Anstalt für Epileptische Wuhlgarten bei Biesdorf« genau richtig. Die Patienten sollten sich auf einem weitläufigen Gelände nahe von Wuhle und Ostbahn ungehindert bewegen können.

Zu dieser Zeit hatte der Architekt bereits die Karl-Bonhoeffer-Klinik, das Urban-Krankenhaus und Herzberge entworfen. Hunderte von öffentlichen Gebäuden, darunter die Berliner Markthallen, Schulen, der Zentralviehhof und das Polizeipräsidium am Alexanderplatz, gehen auf sein Konto. Damit prägte der in Grafenbrück bei Finowfurt aufgewachsene Sohn eines Wasserbauinspektors die Wilhelminische Zeit in Berlin wesentlich mit.

Die 1893 eröffnete, rund 100 Hektar große Biesdorfer Anstalt mit tausend Betten war die erste ihrer Art. Neben zwei großen Gebäuden entstanden kleine Häuser mit Gärten und Werkstätten, in denen die Patienten wohnten und arbeiteten. Sie bauten Gemüse und Feldfrüchte an, hielten Kühe und Schweine. Damit sollte der Therapiegedanke des Reformers und Psychiaters Wilhelm Griesinger umgesetzt werden.

Noch heute kann der Spaziergänger Gutshaus, Scheunen und Stallungen entdecken. Die mit Türmchen oder Terrasse beiderseits des Hauptweges eingebetteten Landhausvillen im Stil der Neorenaissance bilden eine malerische Kulisse. Kein Wunder, dass sich schnell finanzkräftige Käufer fanden. Wo heute eine Familie wohnt, waren damals bis zu 30 Patienten untergebracht.

So idyllisch das Anwesen anmutet, wird doch dessen fast 120-jährige Geschichte durch das dunkle Kapitel der Nazidiktatur überschattet. Reste eines alten Bahngleises nahe der Augenklinik erinnern an die Euthanasietransporte 1940/41, die mit dem Tod von fast 1400 Kranken endeten.

Im Laufe der letzten Jahre hat sich einiges auf dem Areal verändert. Unter anderem wurden zwei Gebäude vom 1997 errichteten Unfallkrankenhaus zu Gästehäusern umfunktioniert. Das historische Kesselhaus beherbergt heute einen Hörsaal. Eine Kita soll in eine der Landvillen einziehen.

Das zeigt, wie vielseitig nutzbar und langlebig die Bauten sind, die der Architekt geschickt mit bunten Ziegeln und Terrakotten ins Bild zu setzen wusste. Nach 24-jähriger Amtszeit schied er 1896 im Rang eines Stadtältesten aus dem Dienst. Als er am 6. März 1910 starb, war der Baustadtrat nahezu vergessen. Heute finden seine beschaulichen Ziegelbauten wieder Gefallen.

»Der Zeitgeist hat sich gewandelt. Man besinnt sich wieder auf Altes«, sagt Ururenkel Felix Hermann Blankenstein. Der in Prenzlauer Berg lebende 53-jährige Zahnarzt will das Vermächtnis seines berühmten Ahnen bewahren und plant ein Buch »Über den Blankenstein«.

12.9., 11 und 13 Uhr, Führungen durch das Wilhelm-Griesinger-Gelände. Ab 12.30 Uhr lädt das Café in der Kirche zu Kaffee und Kuchen ein. Ab 16 Uhr Swing-Konzert. Tägl. bis 12.9., 14 bis 17 Uhr, Ausstellung in der Krankenhauskirche am Brebacher Weg 15.

Das Bezirksmuseum, Alt-Marzahn 51, präsentiert bis 7.11. Baupläne der Biesdorfer Anstalt. Geöffnet Mo., Di., Do., 10-17 Uhr, Mi. 10-19 Uhr, So. 11-17 Uhr.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal