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Rundfahrt mit Rüpel

Comedy-Tour führt Berliner und Touristen humorvoll durch die Hauptstadt

  • Mechthild Henneke, AFP
  • Lesedauer: 4 Min.

Es dauert nicht mal eine Minute, bis der Stadtführer den ganzen Bus auf seiner Seite hat. Dabei benimmt Cem-Ali Gültekin sich nach herkömmlichen Vorstellungen eher schlecht: Er duzt die Touristen, rückt ihnen auf die Pelle und zwingt sie, verbotene Dinge zu tun. Doch deshalb haben sie diese Rundfahrt gebucht: Es ist eine Comedy-Tour durch die Hauptstadt und ihr Führer ein waschechter Comedian.

Der 29-jährige Deutsch-Türke entspricht genau dem, was die Touristen aus dem Saarland oder aus Bayern in Berlin erwarten: Gültekin ist multikulti, quirlig und unglaublich frech – und er bedient das Klischee des Neuköllner Streetboys mit Migrationshintergrund. »Haben wir Jungfrauen dabei?«, fragt er gleich zu Beginn der Fahrt und eine Augsburgerin namens Claudia hebt den Arm. »Eijeijei«, antwortet Gültekin, »das kriegen wir hin.«

Die Idee für die Comedy-Tour kam dem Hamburger Eventmanager Jan Harries vor einigen Jahren, weil er sich auf Stadtrundfahrten langweilte. In Hamburg und Berlin hat er sie inzwischen etabliert, Köln ist in Vorbereitung. Rund 90 Minuten fährt Gültekin mit dem voll besetzten Bus durch die City. Ob die Touristen viel von der Stadt sehen, ist fraglich, denn mit unzähligen Witzen und Anekdoten über Türken, Araber und Deutsche, Geschichte und Denkmäler zieht er sie in seinen Bann.

Kurz bevor es auf die Straße Unter den Linden geht, trainiert er mit ihnen schnelle Kopfbewegungen von rechts nach links. »Links, links, links, rechts, rechts, rechts, links, links, rechts«, kommandiert er, weil sich hier die Sehenswürdigkeiten ballen. Der Bus fährt denn auch kaum langsamer, als es an Neuer Wache, Staatsoper und Humboldt-Universität vorbeigeht, aber gelacht haben die Insassen wie sonst sicher kaum Touristen auf Berlins Prachtboulevard.

Den Alten Fritz auf seinem Ross erklärt Gültekin auf Sächsisch und am ZDF-Hauptstadtstudio imitiert er Thomas Gottschalk. Dann geht es zum Potsdamer Platz. Damit die Touristen Fotos machen können, obwohl der Bus keine Pause macht, schnappt sich Gültekin einen Fahrgast. Die beiden steigen aus und schleichen über die Fußgängerampel an der Ebertstraße, um die Weiterfahrt zu verzögern. Doch die Apparate klicken nicht in Richtung der Hochhäuser, sondern in der des merkwürdigen Paars, das im Gänsemarsch die Straße überquert.

Es geht weiter zum Brandenburger Tor. Dort lässt Gültekin bei geöffneten Türen den gesamten Bus »Ein bisschen Frieden« singen. Der Text läuft über die Bildschirme und alle brüllen schief und voller Inbrunst, bis die Touristen draußen neugierig die Köpfe drehen. Da singen alle noch ein bisschen lauter. Anschließend organisiert er ein kollektives Sitznachbar-Umarmen. Und wer je geglaubt hat, Deutsche seien nicht spontan, wird hier eines Besseren belehrt.

Am Reichstag nähert sich die Tour ihrem Höhepunkt. Ganz im Stil des Guerilla-Gärtnerns, des illegalen Pflanzens von Blumen im öffentlichen Raum, fordert er »Jungfrau« Claudia auf, mit ihm den Bus zu verlassen. Sie soll auf dem Rasen vorm Reichstag ein Vergissmeinnicht säen. Vier Männer aus dem Bus müssen sich vor Claudia postieren und so eine Sichtmauer bilden zu Wachleuten und Polizisten. Was wie ein Scherz wirkt, ist eigentlich illegal. Bei einer früheren Pflanzaktion etwas näher am Gebäude kamen Polizisten, erzählt Gültekin später, die habe er ins Programm eingebaut, so dass niemand etwas gemerkt habe.

Auch Claudia erfüllt die ihr angetragene Aufgabe gewissenhaft, und dann fährt der Bus schon wieder auf den Friedrichstadtpalast zu, dem Ausgangs- und Endpunkt der Reise. Die Gäste steigen begeistert aus und verabschieden sich mit einem Handschlag von ihrem Unterhalter. Der hält das Image des Türkenjungen bis zum Schluss aufrecht. Erst als die Touristen gegangen sind, gesteht er, dass er in Hamburg lebt und gelernter Schauspieler ist. Das Programm für die Rundfahrt habe er selbst geschrieben, sagt er – ganz ohne Kodderschnauze. Er ist eben ein Profi, der die Show kontrolliert.

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