nd-aktuell.de / 16.09.2010 / Brandenburg / Seite 10

»Einheit gut, Vereinheitlichung schlecht«

In Berlin wird eine UKW-Frequenz frei, nichtkommerzielle Szene erhält nur minderwertige Welle

Ralf Hutter

»Einheit ist ein Ideal – und wir sind Idealisten.« Es klingt wie eine Floskel, wenn Paul Motikat von der Gruppe Radiopiloten über das inhaltliche Konzept des Radioprojekts spricht, das neuerdings und noch bis 3. Oktober auf der für temporäre Radios vorbehaltenen Frequenz 99,1 Mhz rund um die Uhr sendet. Doch hinter »Radio Einheit« steht mehr. Mit seinem Namen bezieht es sich vor allem auf den vor 20 Jahren vollzogenen Prozess der Vereinigung von BRD und DDR – ein temporäres Format muss nämlich einen aktuellen Bezug haben. Die beiden anderen Bezugspunkte sind zur Zeit laufende Kulturhighlights: die Somnambule, ein Festival zu Stummfilm-Themen, und das Internationale Literaturfestival.

»Wir sind definitiv nicht die Leute, die die deutsche Einheit verherrlichen – im Gegenteil: Ein möglichst vielfältiger Blick auf die Einheit mit allen Pros und Kontras war unsere Motivation«, so Motikat. Dabei ist ihm wichtig, dass es eben nicht um die so genannte Wende geht, also die Ereignisse, die zum Ende der DDR führten, sondern um die darauf folgenden Prozesse.

Den ersten Sendetag nahmen etwa die Friedrichshainer Hausbesetzungen von 1990 ein, viele damals Beteiligte kamen zu Wort. Regelmäßig wird auch eines der Gespräche gesendet, die Radio Corax aus Halle letztes Jahr mit auf verschiedenen Seiten Beteiligten führte und im Internet unter »wendefokus.de« archiviert hat.

Die Radiogruppen, die sich am Programm beteiligen, sind freilich in ihrer Themenwahl frei. Sie können sich auch abstrakt, gar spielerisch dem Oberbegriff nähern. »Einigkeit ist gut, Vereinheitlichung ist schlecht«, lautet etwa Motikats Definition, die auch auf die Struktur des Senders selbst passt. Einheit in der Vielfalt ist die hauptsächliche Konstante bei den Radioprojekten der freien Szene. Dieses Mal ist eine regelmäßig aus Israel eingespeiste Musiksendung genauso im Repertoire, wie experimentelle Hörspiele, ein morgendliches Kinderradio und englischsprachige Studiorunden.

Die Vielfalt zeigt sich auch daran, dass aus drei Studios gesendet wird. Die werden übrigens von den Radiogruppen selbst gestellt, wie auch die gesamte Computertechnik und sogar die Sendeantenne.

Letztere steht auf dem Stadtkloster Segen in der Schönhauser Allee, wodurch nun auch nordöstlich des Alexanderplatzes Freies Radio empfangbar ist. Der im Frühjahr von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) eingerichtete Mischsender 88vier, auf dem die Radiogruppen prinzipiell auch senden können, wo aber nicht alle unterkommen, ist nämlich eher als Notlösung anzusehen. Er konnte nur als schwacher Sender in das volle Frequenzband Berlins reingezwängt werden und wird nach offiziellen Zahlen von 900 000 Menschen gut empfangen. Einige seiner Sendungen werden nun gleichzeitig von Radio Einheit ausgestrahlt.

Kürzlich tat sich jedoch eine Lücke im Frequenzband auf: JazzRadio ist insolvent, seine Frequenz wurde neu ausgeschrieben. Ende August veröffentlichte die mabb das Ergebnis: 24 Bewerbungen gingen ein. Laut mabb-Sprecherin Susanne Grams wird der Medienrat nächste Woche die Anhörungen zu den Bewerbungen vornehmen. Wann der Nachfolgesender anfangen wird, hänge davon ab, ob der Auserkorene hier schon die nötige Sende-Infrastruktur hat. Es bewerben sich auch vier Firmen mit Sitz in Bayern und zwei aus dem Ausland. Eine Handvoll bereits präsenter Sender will hingegen nur die Frequenz wechseln.

Dass statt dessen die nicht-kommerzielle Szene eine vernünftige Frequenz bekommt, ist im Moment ausgeschlossen, wie auch Grams bestätigt. Derartige Überlegungen gebe es bei der mabb nicht.