nd-aktuell.de / 16.09.2010 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 7

Horrorszenario für die Krankenversicherung

Fritz Beske Institut prognostiziert Krankenkassenbeiträge von über 50 Prozent im Jahr 2060

Silvia Ottow
Gestern stellte Fritz Beske in Berlin die neuesten Untersuchung des Kieler Institutes für Gesundheits-System-Forschung (IGSF) vor. Grundtenor: Die Gesetzliche Krankenversicherung ist am Scheideweg. Bleibt sie wie sie ist, steigen die Beiträge in den nächsten 50 Jahren auf über 50 Prozent.
Fritz Beske: »Aufgabe der Politik sollte es sein, zu sagen, was auf die Menschen zukommt.«
Fritz Beske: »Aufgabe der Politik sollte es sein, zu sagen, was auf die Menschen zukommt.«

Fritz Beske ist einer der rennommiertesten deutschen Gesundheitsforscher und Politikberater. Gestern legte der 78-jährige Mediziner Band 118 aus der Schriftenreihe seines Institutes vor. Darin geht es um die Entwicklung der Ausgaben und Beitragssätze der Gesetzlichen Krankenversicherung, die der Experte bis 2060 auf über 50 Prozent ansteigen sieht. Es handele sich hierbei nicht um Schätzungen, wie Beske betont, sondern um Berechnungen.

Bis 2060 nimmt den Institutsrechnungen zufolge die nachwachsende Generation (0 bis 19 Jahre) um 5 Millionen Menschen ab; die Zahl der Erwerbsfähigen (20 bis 66 Jahre) reduziert sich um 17 Millionen und die Zahl der Menschen im nicht erwerbsfähigen Alter (67 und darüber) vergrößert sich um 7,3 Millionen. Die Bevölkerungszahl sinkt auf 65 bis 67 Millionen, die Lebenserwartung steigt. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass 2060 rund 40 Millionen Mitglieder Ausgaben in Höhe von 468 Milliarden Euro aufbringen müssen. Zum Vergleich: 2008 entfielen auf rund 51 Millionen Mitglieder Ausgaben in Höhe von 160 Milliarden Euro.

»Die Gesundheitspolitik wird sich auf diese Entwicklung einstellen müssen«, sagt Beske nüchtern. Doch bisher sei davon nichts zu spüren. Für 2011 und 2012 verspreche die Politik eine Deckung der Ausgaben, was danach kommt, spreche sie nicht an. Angesichts der aktuellen Debatten um den Bundeshaushalt glaube er nicht, dass die GKV daraus auf Dauer subventioniert werden könne.

Was bleibt also? Für Fritz Beske besteht eine Lösung darin, den Aufgabenbereich der Krankenversicherung neu zu definieren und ihn auf die Versorgung im Krankheitsfalle zu beschränken. Prävention sei wichtig, aber nicht Sache der GKV. Auch die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Ehepartnern ist für ihn diskussionswürdig. Beske will die versicherungsfremden Leistungen reduzieren. Dazu zählen für ihn vier Milliarden Euro, mit denen die GKV die Bundesanstalt für Arbeit subventioniere. In den Krankenhäusern halte die Bundesrepublik die höchste Bettenzahl in der Welt bereit, das sei fragwürdig Doch nicht nur über Strukturen müsse man sprechen, auch über den Leistungskatalog. Er sei sich im Klaren darüber, dass die Diskussionen problematisch würden, aber die Ehrlichkeit gebiete es, sie zu führen. So müsse man fragen, ob es begründet sei, dass die Solidargemeinschaft die wachsende Zahl von Kaiserschnitten, erhebliche Summen für das Leben von Frühchen oder auch die Palliativversorgung am Ende des Lebens bezahle.

Von einer Bürgerversicherung verspricht sich Beske keine Lösung der Probleme, denn aus seiner Sicht leide die Privatversicherung ebenfalls unter der demografischen Entwicklung und dem Kosten verursachenden medizinischen Fortschritt.