nd-aktuell.de / 22.09.2010 / Politik / Seite 5

»Ohne Furcht und Hoffnung«

Zum 68. Juristentag fordern kritische Richter und Anwälte eine Selbstverwaltung der Justiz

Velten Schäfer
Deutschland ist eine Bananenrepublik – zumindest was die Stellung von Richtern und Staatsanwälten angeht. Die sind, fast einzigartig in der EU, direkt von der Exekutive abhängig. Was Brüssel inzwischen von Beitrittskandidaten fordert, müsse im Kernland Bundesrepublik endlich Wirklichkeit werden, fordert ein breites Bündnis von Juristenverbänden.

Planungsgemäß steht die Religionsfreiheit im Zentrum des Deutschen Juristentags, der am Dienstag in Berlin begonnen hat. Und vor der traditionsreichen Veranstaltung, zu der in der Hauptstadt rund 3000 Juristen erwartet werden, hat der Verfassungsrichter Udo di Fabio dazu bereits eine Maxime formuliert: Die »Toleranz« müsse dort enden, wo sie der »Intoleranz den Weg bereitet«.

Weitere Themenschwerpunkte sehen die Veranstalter vom »Deutschen Juristentag e.V.« im deutschen Arbeitsrecht. Das sei viel zu kompliziert, sagt Martin Henssler, die Politik zeige stets aufs neue ihre Handlungsunfähigkeit. Ob etwa jemand, der wegen eines kranken Kindes zu Hause bleibt, Anspruch auf Lohnerstattung hat, sei mit den jetzigen Gesetzen kaum zu klären.

Wie unabhängig sind Weisungsgebundene?

Wichtige Fragen, finden auch die Neue Richtervereinigung (NRV) und der Republikanische Anwaltsverband (RAV). Dennoch nehmen die kritischen Juristenverbände das Treffen auch als Plattform für ein Anliegen, das selbstverständlich klingt, tatsächlich aber einer dringenden Verständigung bedarf: »Unabhängigkeit der Justiz« – nicht etwa als Geschichts-, sondern als Zukunftsthema. Zusammen mit Österreich und der Tschechischen Republik, sagt der NRV-Sprecher Mario Cebulla, sei die Bundesrepublik inzwischen der einzige europäische Staat, dem Brüssel diesbezüglich schwere Mängel attestiert. Hierzulande seien Richter von der Exekutive weitgehend abhängig: Über die Laufbahnen fast aller Richter entscheiden die Länder-Justizministerien, Staatsanwälte sind ganz normale Landesbeamte, »weisungsgebunden bis ins letzte Glied«, sagt Cebulla. »Wollte Deutschland heute in die EU eintreten, gäbe es deshalb ernsthafte Schwierigkeiten«, lacht er. Die verwaltungsmäßige Unabhängigkeit der dritten Gewalt ist nämlich ein wichtiges Kriterium für Beitrittskandidaten.

Die NRV streitet schon seit ihrer Gründung im Jahr 1991 für eine entsprechende Reform des Justizwesens: »Ohne Furcht und ohne Hoffnung« gegenüber einem politischen Dienstherren müssten die Richter entscheiden und sich daher selbst verwalten, heißt es schon im Gründungsmanifest des Verbandes. Gewählte Vertreter in landesweiten Selbstverwaltungsräten und auf der lokalen Ebene ausgebaute Gerichtspräsidien sollen über Beförderung, Disziplinierung und sonstige Dienstangelegenheiten befinden, fordert die NRV seit damals. Inzwischen unterstützt aber auch die größte Juristen-Standesorganisation, der Deutsche Richterbund (DRB), die Forderung nach dem eigentlich Unvermeidlichen.

»Die Zeit drängt schon in diese Richtung, aber die Politik bremst noch«, klagt Cebulla. Zwar gebe es im schwarz-grünen Hamburg und in Nordrhein-Westfalen mit seiner rot-grünen Minderheitsregierung »zarte Ansätze einer Diskussion«, doch reiche das noch längst nicht aus. Und von FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich vor ihrem Regierungseintritt noch für die Selbstverwaltung von Staatsanwälten ausgesprochen habe, höre man »nichts mehr in dieser Richtung«, so der Stralsunder Landrichter.

Initiative liegt bei den Ländern

Doch können die Juristen auf die Länder hoffen: Zwar seien für eine umfassende Reform auch Bundesgesetze erforderlich, doch könnten die Länder wesentliche Schritte gehen und »die Kontrolle weitgehend aufgeben«, sagt Barbara Borchardt, LINKE-Abgeordnete im Schweriner Landtag. Die Linkspartei, die sich bei den Landtagswahlen 2011 im Nordosten gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung ausrechnet, werde das Thema daher im Wahlprogramm festhalten, so Borchardt, wie auch im Landes-Leitbild »Mecklenburg-Vorpommern 2020«.