Zwei Weltmeister im Museumsbüro

Der Boxer Henry Maske ist für die Rolle des Max Schmeling ins Schauspielfach gewechselt – beide Weltmeister verband eine Freundschaft voller Ehrfurcht und Respekt

  • Malte Splettstößer
  • Lesedauer: 6 Min.
Heute feiert der Film »Max Schmeling – eine deutsche Legende« Premiere, bevor er am 7. Oktober in die Kinos kommt. Den Helden spielt der ehemalige Box-Olympiasieger und -weltmeister Henry Maske, der sein Idol vor dessen Tod im Jahr 2005 noch einige Male traf. Beide hielten sehr viel voneinander.

Erstmals ist Henry Maske im Sommer 1992 bei Max Schmeling zu Besuch. Der hat auf sein Grundstück in Hollenstedt bei Hamburg eingeladen: Henry Maske, Axel Schulz und ihren Trainer Manfred Wolke. Nach vierstündiger Fachsimpelei mit Kaffee meint Maske: »Ich bin tief beeindruckt von seiner Persönlichkeit.« Zum Abschied schenkt Schmeling jedem der Gäste seine Memoiren »Erinnerungen«, natürlich mit persönlicher Widmung. »Für Henry Maske«, schreibt der Mann, dessen Name auch noch Jahrzehnte, nachdem er Weltmeister war, in einem Atemzug mit allen Boxgrößen der Welt genannt wird, »mit herzlichen Wünschen von seinem Max Schmeling.« Seinen Max Schmeling gibt Maske nun auf der Kinoleinwand.

Henry könnte mein

Urenkel sein

Ein halbes Jahr später ist Henry Maske selbst Profiweltmeister. Schmeling hatte schon vorher an den Mann aus Frankfurt (Oder) geglaubt: »Ich bin überzeugt, Henry Maske, der mein Urenkel sein könnte, wird Weltmeister. Er ist sehr intelligent, hat ein gutes Auge und exzellente Reflexe. Mit ihm kann die deutsche Profiszene wieder das werden, was sie vor Jahrzehnten einmal war.« Nach zwölf Runden gegen den Titelverteidiger Charles Williams konnte der Ringrichter in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1993 um 0.44 Uhr den 7000 Zuschauern in der Düsseldorfer Philipps-Halle verkünden: »Neuer Weltmeister im Halbschwergewicht: Henry Maske!«

Nach dem Erfolg gratuliert Schmeling per Telegramm und Tonband. Als Henry die Stimme Schmelings aus dem Lautsprecher hört, der ihm sagt, dass er niemandem mehr als Maske den Titel gewünscht habe, bekommt der Mann, der noch am Vortag im Ring Härte gezeigt hat, vor Rührung feuchte Augen.

Ein paar Wochen später fahren Henry und ich nach Hamburg. Eine Illustrierte hatte ein Treffen mit Schmeling arrangiert, und Henry war sofort dafür. Eigentlich sollte zwei Tage später die erste Titelverteidigung stattfinden. Aber der Weltmeister hatte sich verletzt, der Kampf musste verschoben werden. Da blieb ein wenig Zeit, erst recht für Max Schmeling.

Als wir an diesem 16. Juni 1993 gegen halb zehn am Vormittag in seinem Büro eintreffen, begrüßt der Schwergewichtsweltmeister von 1930 bis 1932 den Halbschwergewichtsweltmeister von 1993 mit großer Herzlichkeit. Schmeling ist Gesellschafter der Hamburger Coca-Cola-Niederlassung und kommt auch noch mit rund neun Lebensjahrzehnten auf dem Buckel mehrmals wöchentlich für Stunden in sein Büro – dieser Lebensabschnitt ist nicht mehr Teil des Films, doch Maske könnte auch den spielen, betreut er doch heute mehrere McDonalds-Filialen.

Schmelings Büro gleicht bei unserem Treffen einem Boxmuseum. Die Wände voller Bilder von Begegnungen mit einstigen Boxgrößen, Medaillen, Urkunden, Pokale, Plakate. Schmeling lässt noch einmal Glanzpunkte seiner Boxkarriere lebendig werden, in der er als Profi 70 Kämpfe bestritt, davon 56 gewann, allein 39 durch K.o.

Natürlich gehört der Kampf um die WM am 12. Juni 1930 im New Yorker Yankee-Stadion dazu. Schmeling gewinnt vor mehr als 80 000 Zuschauern durch Disqualifikation seines Gegners Jack Sharkey den Titel, aber, meint er nun zu Henry, »obwohl Sharkey zu recht wegen Tiefschlags disqualifiziert worden war, meine Krone war für mich ohne Glanz«.

Der kam für Schmeling erst, als er in seiner ersten Titelverteidigung über ein Jahr später William Young Stribling bezwang. Stribling hatte die Erfahrung von über 270 Kämpfen aufzuweisen. »Das war damals so etwas wie ein Weltrekord«, meint Schmeling, und man merkt ihm noch immer die Genugtuung über seinen Sieg durch K.o. an. »Erst danach fühlte ich mich als wahrer Weltmeister.«

Und dann sind da natürlich die beiden Kämpfe gegen Joe Louis, die Schmelings Ruhm weltweit begründeten. Der K.o.-Sieg am 19. August 1936 gegen den für unbesiegbar gehaltenen Louis wird seitdem immer wieder genannt werden, wenn von den größten Kämpfen der Boxgeschichte die Rede ist. Louis war in allen US-Zeitungen der 10:1-Favorit. »Der Mann, der Joe Louis schlägt«, schrieb eine von ihnen, »wird der Boxer aller Zeiten sein.«

Vom erbitterten Gegner zum guten Freund

Schmeling verlor zwar zwei Jahre später in einem zweiten Kampf vor fast 70 000 Zuschauern durch K.o. gleich in der ersten Runde, aber das tat seiner Legende keinen Abbruch mehr. Und die Wärme und Sympathie, mit der er ein halbes Jahrhundert später beim Gang mit Henry Maske durch sein Boxmuseum-Büro über die Begegnungen von damals erzählt, verdeutlichen, dass die Erinnerungen an den einstigen erbitterten sportlichen Gegner und späteren guten Freund zu den schönsten eines langen Lebens gehören. Maske, zum ersten Mal an diesem Ort, ist fasziniert.

Schnell stecken beide wieder in freundschaftlicher Fachsimpelei. »Ich habe immer gerne gegen Leute geboxt«, so Schmeling, »die selber versucht haben, den Kampf zu machen.« Maske stimmt zu. Auch ihm sei es lieber, wenn der Gegner zuerst aus der Deckung kommt. Ähnlichkeiten, die Maske im Film nutzen kann. Doch umstellen muss er sich trotzdem: Maske ist Rechtsausleger, Schmelings Führhand war die linke.

Unterschiede beim Boxen zwischen damals und heute? »Schwer zu sagen«, meint der Altmeister, »aber damals dauerten die Kämpfe bis zu 20 Runden. Wir haben auch unsere Hände solange umwickelt, bis sie stahlhart waren. Heute ist unser Sport humaner geworden. Die Sportler werden durch Regelwerk und Material mehr geschützt. Und sie werden ärztlich betreut.« Die Boxer der verschiedenen Epochen will Schmeling nicht vergleichen: »Jeder Weltmeister ist in seiner Zeit der Größte!«

Was schätzt Schmeling denn am Weltmeister Maske, frage ich ihn. »Henry macht aus seiner Verteidigung sofort einen eigenen Angriff. Das kann man nur, wenn man eine Situation genau übersieht und schnell reagieren kann. Henry schlägt auch sehr genau. Und genau zu treffen – das ist das Wichtigste. Es kommt gar nicht auf die Härte der Schläge an. Sonst könnte ja jeder Grobschmied Weltmeister werden!« Henry ist so viel Lob vom Idol ein bisschen peinlich.

Doch es geht nicht nur ums Boxen. Schmeling erzählt aus den Erfahrungen eines langen Lebens: »Sie müssen in den wenigen Jahren als Profi richtig Geld verdienen. Das ist nichts Anrüchiges, das ist Ihr Beruf. Aber Geld ist nicht das Wichtigste. Die Leute beurteilen Sie auch danach, wie Sie sich menschlich verhalten. Ihren guten Ruf erwerben Sie sich in den zehn, zwölf Jahren als Boxer. Ein Image bleibt bestehen.«

Bei unserem Besuch 88 Jahre alt, bekräftigt Schmeling, er wolle gern 100 werden. Das sei kein Widerspruch zu seiner Auffassung, dass man sein Boxerleben nicht übermäßig ausdehnen solle. Sicher waren die Umstände in den ersten Nachkriegsjahren andere als heute. Aber: »War ich blöde«, zeigt sich Schmeling selbst einen Vogel, »1947, mit 42 Jahren, habe ich noch einmal angefangen!« Zwar gewann er damals, aber, so schrieb er später, »ich wusste, meine Zeit war vorbei. Ich hatte über meinen Gegner triumphiert, aber nicht über meine Jahre.«

Der richtige Zeitpunkt

zum Abschied

Nach ein paar Kämpfen gab Schmeling am 31. Oktober 1948 in der Berliner Waldbühne, noch bevor der Ringrichter die Punktniederlage gegen den Hamburger Richard Vogt verkündete – im Film gespielt von Weltmeister Arthur Abraham –, seinen endgültigen Rücktritt bekannt. »Mit 43 Jahren kann man keine Bäume mehr ausreißen«, blickt der Weltmeister der 30er Jahre bei unserem Besuch mit Wehmut zurück, wohl auch mit der Hoffnung, der Weltmeister der 90er Jahre möge den richtigen Zeitpunkt für den Abschied aus dem Ring finden.

Maske bestritt seinen letzten Kampf 2007 bekanntlich zehn Jahre nach seinem offiziellen Abschied – auch er war damals 43 Jahre alt. Was Schmeling dazu gemeint hätte, blieb ungesagt: Sein Jahrhundertwunsch erfüllte sich nicht, Max Schmeling starb wenige Monate vor seinem 100. Geburtstag.

Der Autor begleitete Henry Maske als Presseberater in seinen ersten Profijahren – auch zu Max Schmeling.

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