nd-aktuell.de / 01.10.2010 / Politik / Seite 15

Mindestlohn Hartz IV

Kurt Stenger

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kann die Kritik an der Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze einfach nicht verstehen. Aus ihrer Sicht haben nicht die Gewerkschaften, die Sozialverbände oder die Oppositionsparteien die soziale Gerechtigkeit im Blick, sondern einzig und allein die schwarz-gelbe Koalition. Denn, wie die Ministerin etwas pikiert erwiderte: »Jede Erhöhung der Hartz-IV-Sätze muss auch den Geringverdienern erklärt werden, die ihr Geld erarbeiteten und ebenfalls jeden Cent umdrehen müssten!« Dies ist die volksnahe, leyenhafte Erläuterung des ziemlich technokratisch daher kommenden »Lohnabstandsgebots«. Dieses steht zwar weder in der Bibel noch im Grundgesetz, aber es gehört mittlerweile zum Allgemeingut neoliberaler Arbeitsmarktpolitik.

Um die Fragwürdigkeit dieses Arguments besser zu verstehen, muss man zurück zum Ausgangspunkt der Hartz-IV-Reform. Diese war von SPD und Grünen – unter dem Beifall von Union und FDP, versteht sich – gerade auch deshalb durchgezogen worden, um die Einführung eines breiten Niedriglohnsektors flankierend zu begleiten. Letzteres gelang mit durchschlagendem Erfolg: Rund fünf Millionen Leiharbeiter, geringfügig Beschäftigte und Niedrigstlöhner werden heute in diese Kategorie gezählt. Damals wurde den finanziell abstürzenden Arbeitslosen mitgeteilt, mit den niedrigen Regelsätzen stiegen ihre Jobchancen beträchtlich. Und heute werden die Niedriglöhne als Argument missbraucht, um dauerhaft niedrig Hartz-IV-Regelsätze zu begründen.

Hier wird mit Umkehrschlüssen gearbeitet, die als Argumentation eigentlich unzulässig sind. Das Hauptproblem dabei ist, dass der Arbeitsmarkt dadurch in einer Dumpingspirale festhängt. Hartz IV legt einen völlig unzureichenden Quasi-Mindestlohn fest, der teilweise erst mit dem Einsatz staatlicher Lohnsubventionen erreicht wird. Und die Hartz-IV-Sätze werden – egal wie das Berechnungsprocedere auch läuft – so niedrig angesetzt, dass sie weit unter einem realistischen Existenzminimum liegen.

Das Ganze funktioniert natürlich nur solange, wie die Spaltung der Gesellschaft in zahllose Einzelgruppen gelingt. In diesem Sinne sind von der Leyens Ausführungen natürlich auch zu verstehen.