nd-aktuell.de / 05.10.2010 / Kultur / Seite 25

Geschichte zurückgeholt

ANDREAS H. APELT und ein Dorf in der Lausitz

Michael Hametner

Devastierung« oder »devastieren« wären geeignete Kandidaten für ein Unwort des Jahres gewesen. Klingen so schön lateinisch-neutral und bezeichnen doch etwas, was Menschen schwere Schicksale aufgegeben hat. Gemeint sind Verwüstungen, Landschaftszerstörungen, am häufigsten in Deutschland praktiziert, um Braunkohle abzubauen. Im Rheinland, in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier sind noch bis in jüngste Vergangenheit ganze Orte weggebaggert worden. Den Menschen dort blieb nur der Umzug. Selten ein freiwilliger. – Dass dieser Stoff, in den Begriffe wie Heimat und Vergangenheit eingeschlossen sind wie Mücken im Bernstein, in die Literatur gehört, liegt auf der Hand. Im Vorjahr ist es Patrick Hofmann mit seinem Roman »Die letzte Sau« (Schöffling) erstaunlich gelungen. Die letzte Sau schlachten und danach den Hof an die Bagger übergeben müssen – daraus hat Hofmann eine Roman-Komödie gemacht, die viel Bitteres erzählt. Am bittersten der Aberwitz, dass die Bagger dann gar nicht kommen, aber die Leben schon geschlachtet sind.

Andreas H. Apelt greift in »Schwarzer Herbst« aus anderer Perspektive auf den Stoff zu. Apelt – wie auch Patrick Hofmann – ist nahe seines Romanschauplatzes geboren. Hofmann in Borna (ein Zentrum der mitteldeutschen Braunkohle) und Apelt in Luckau, wo für die Lausitzer Reviere Dorfräuberei betrieben wurde. Und in beide Romane ragt die DDR-Vergangenheit hinein. Die DDR setzte sich in den 80er Jahren weltweit an die Spitze der Produktionsländer von Braunkohle. Mit dem, der sich durch Räumungsweigerung ihren Energieplänen zu widersetzen versuchte, verstand sie keinerlei Spaß.

Wie aber diesen Stoff erzählen, um nicht beim bekannten – gleichwohl bitteren – Szenarium herauszukommen? Bei Apelt nebelt es, fabelt es und spukt es manchmal. Er schafft sich zwei Dutzend Figuren für seine Geschichte um die Rettung von Presenchen (aber als die gelingt, gibt es die DDR schon nicht mehr). Es beginnt mit der Rettung von Grabsteinen. Maßgeblich betreibt dies Elli Noack, eine alte Frau, die viele Tote auf dem Friedhof hat. Sie lässt sich bei Regen die Grabsteine anfahren und am Gartenzaun aufstellen. Die der eigenen Toten: ihres Mannes, des Gastwirts, ihres Sohnes, der der NS-Euthanasie zum Opfer gefallen war, einer ihrer zwei Töchter und ihres Enkels Pascha. Auch andere Grabsteine, so den vom Körner, der immerhin in der Partei und Bürgermeister war. Mit Körners Grabstein-Rettung verteidigt sich Elli bei der Volkspolizei, die sie vorlädt und schließlich Rückgabe-Order gibt: Keine Grabsteine in Ellis Garten, keine Erinnerung an das weggebaggerte Dorf Presenchen. Doch genau die will Elli, sichtbar, für sich und für die anderen Heimatvertriebenen. Diese Geschichte erzählt Apelt als Versuch kleiner Leute, unter der großen Geschichte hindurch das Ihre gegen »die da oben« zu verteidigen. Ein schöner Ansatz, der nicht durch geradeaus Erzählen verschenkt wird. Apelt bemüht sich mit Erfolg um eine poetische Form.

Als die Mauer gefallen ist, kommt mancher wieder zurück in seine Heimat. Darunter aus Amerika der Neffe des Juden Buchsstein, der einst von hier vertrieben wurde. Er fragt: Was wäre wohl aus mir geworden, »wenn die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hätte«, und bietet an, sich mit Elli »dort oben über den Abgründen unserer gemeinsamen Geschichte zu treffen«. Gäb's solche Sätze mit Großworten wie Heimat und Geschichte nicht, wäre man noch mehr einverstanden. Seine Stärken hat Apelts Erzählen dort, wo die knorrigen Figuren mit Mut und Witz Einspruch dagegen erheben, dass sie Geschichte mal genommen, mal zugewiesen bekommen sollen. Mit der Figur der Elli Noack rettet sich der Autor zudem vor einer zu großen Portion an Tragischem: Aus Angst vor der Obrigkeit greift sie zu erfinderischer List ...

Apelt geht andere Wege als Hofmann. Dass sie zu einem lesenswerten Roman führen, verdankt sich Doppeltem: Er erzählt halb ein Märchen, halb eine Chronik der Revolution im Herbst ´89. Und seinen Figuren glaubt man, was da tags und vor allem nachts an Wunderlichem geschieht.

Andreas H. Apelt: Schwarzer Herbst. Roman. Mitteldeutscher Verlag. 288 S., geb., 19,90 €.