nd-aktuell.de / 05.10.2010 / Kultur / Seite 43

Ein Augiasstall und kein Herkules

SCHWARZBUCH KIRCHE

Ingolf Bossenz

So unbeirrt von aller der Finsternis abgerungenen Erkenntnis ist sie ihrer Finsternis treu geblieben, dass es schon wieder imposant ist in seiner Konsequenz, vergleichslos, wirklich einzig.«

Der Satz des Schriftstellers Hans Wollschläger (1935 – 2007) ist aktuell wie vor über 30 Jahren, als er geschrieben wurde. Er bezieht sich auf die katholische Kirche, jenes »Monstrum« (Wollschläger), dessen televisionärer Glanz aus Wojtylas Zeiten mittlerweile stumpf geworden und von hässlichen Flecken übersät ist. Dem medialen Fiebern von der einen zur nächsten Tour des »Reisepapstes« folgte unter dessen Nachfolger Ratzinger das Fiebern von der einen zur nächsten, noch größeren Dimension des Skandalösen.

Indes: Der Sumpf aus Missbrauch, Gewalt und Vergewaltigung, dessen globale Ausmaße dem Anspruch der Una Sancta als Weltkirche in zynischer Weise kongenial sind, ist weder dem einen noch dem anderen »Heiligen Vater« aufs alleinige Schuldkonto zu setzen. Es geht hier um Strukturen und Strategien, die seit Jahrhunderten Menschen in geistige Knechtschaft und physische Abhängigkeit zu zwingen versuchen.

Ein »Schwarzbuch Kirche«, das sich der Ursprünge, Usancen und Untaten des klerikalen Gesamtsystems annimmt, ist also durchaus angemessen. Handelte es sich allerdings in der Tat – wie die Verlagswerbung behauptet – um »die erste umfassende Darstellung der Verfehlungen der katholischen Kirche«, wäre dies nach fast 2000 Jahren christlicher Kirchengeschichte ein arges Armutszeugnis für unsere angeblich so aufgeklärte Gesellschaft. Dem ist zum Glück nicht so, wie die mittlerweile in neun Bänden vorliegende »Kriminalgeschichte des Christentums« von Karlheinz Deschner, das kirchenkritische Werk von Hubertus Mynarek (u. a. »Papst-Entzauberung«, »Herren und Knechte der Kirche«) oder das jüngst erschienene Buch »Der Heilige Vater« von Gerhard Feldbauer bezeugen.

Ein »Schwarzbuch« besteht aus schwarzen Seiten. Und die hat der Autor Michael Hebeis (geboren 1959) bei der katholischen Kirche reichlich ausgemacht: Kreuzzüge, Judenverfolgung, Terror gegen Andersdenkende, Finanzskandale, Kolonial- und Kriegsverbrechen, Massenmord, Raubzüge, Frauendiskriminierung, Kinderschändung ... Selbst mit dem Thema vertraute Leser werden in der von Hebeis zusammengetragenen Materialfülle ihnen bislang Unbekanntes finden. Die Romkirche – ein Augiasstall. Und weit und breit kein Herkules, der mit einem durchgeleiteten Fluss den Unrat hinwegspült. Im Gegenteil: Ohne die aktuelle Desavouierung des katholisch-klerikalen Systems durch jahrzehntelange sexuelle Gewalt gegen Zigtausende Kinder und Jugendliche hätte sich wohl kaum ein großer deutscher Verlag für ein »Schwarzbuch Kirche« gefunden. Denn ungeachtet aller vergangenen und gegenwärtigen Skandale gelten die Kirchen als unverzichtbar für den moralischen Zusammenhalt der Gesellschaft. Woher diese Legitimation kommen soll, bleibt nach Lektüre des Schwarzbuches schleierhaft – zumindest mit Blick auf die katholische Kirche, denn ausdrücklich bezieht sich Hebeis, der selbst Katholik ist, »nicht auf das Christentum an sich«.

Und hier liegt auch eine grundsätzliche Schwäche des Buches. Geht es doch dem Autor nach eigener Darstellung »in diesem Buch darum, die Strukturen zu verstehen, die Kirche heute bestimmen«. Doch diese Strukturen sind nun einmal nicht zu trennen von den religiösen Glaubensinhalten, Geboten, Regeln, Dogmen, denen diese Strukturen entsprechen – oder auch widersprechen.

Zudem geht es spätestens seit dem römischen Kaiser Konstantin I. nicht nur um die innerkirchlichen Strukturen, sondern vor allem auch um die filzig-festen Bande, die das Verhältnis von Kirche und Staat prägen und sich gegenseitig durchdringen. Das Elend der von den »Gottesdienern« Missbrauchten hätte kaum Jahrzehnte unter der Decke gehalten und vertuscht werden können ohne das generelle Wohlwollen staatlicher Institutionen gegenüber den christlichen Glaubenskonzernen. Vom milliardenschweren Subventionierungs- und Alimentierungswesen, wie es in Deutschland das Verhältnis Staat-Kirche prägt, ganz zu schweigen. Mit einem Bruchteil dieser Zuwendungen könnten den Opfern klerikaler Übergriffe angemessene Entschädigungen gezahlt werden. Alles Themen, die auf weitere »Schwarzbücher« warten.

Michael Hebeis: Schwarzbuch Kirche. Und führe uns nicht in Versuchung. Verlag Ehrenwirth, 285 S., geb., 19,99 €.