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Im Dienste der Stauffenbergpartei

Das Tagebuch des Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz – 15. Folge

  • Lesedauer: 3 Min.

Was letzte Woche geschah: Endlich wollte die Stauffenbergpartei sich dem einfachen Mann auf der Straße stellen, Werbegeschenke verteilen. Doch unter den Mitgliedern der Verschwörer-Clique, allen voran Ursel und Roland, entfachte sich ein Streit über das »Wie« zur endgültigen Abschaffung des Sozialstaats. Roland wird zunehmend zum Problem.

Dass es in der Stauffenbergpartei auch ohne Gezanke und Gezeter, Theater und Schmonzetten zugehen kann, durfte ich am Tag der Deutschen Einheit erleben. Das Wetter war goldprächtig und die Führungsriege wies genau jenes entspannt-harmonische Maß an Unvollständigkeit auf, das nötig ist, um fröhliche Zukunftsmusik zu spielen. Außer Leonore und mir wanderten nur Jauch und Roland vom Reichstag zum Brandenburger Tor, beide selig wie selten. Jauch, weil er gerade seinen Cameo-Auftritt beim ARD-Presseclub absolviert hatte, und Roland, weil immer mehr Schmierfinken für sein Buch werben. Konservativ, ein Begriff, einst von der linken Schickeria in die Schmuddelecke gedrängt, erobert nun die Herzen der Deutschen. Aufgerissene Kinderaugen, Blitzlichter. Zwei Prominente an meiner Seite, einen schönen Kakadu auf der Schulter, das zieht Blicke an. Auch so kann man für die Partei werben.

Vor dem Reichstag. Ein schwäbisches Touristenpaar tuschelt, berät sich, wagt es schließlich, uns anzusprechen. »Stuttgart 21?« »Jein«, antworte ich. Der Bahnhof sei prima, doch ebenso wichtig sei es, dass in den Zügen wieder die dritte Klasse eingeführt werde, mit schönen Holzbänken. Wir lassen die Schwaben zurück, ziehen weiter gen Brandenburger Tor.

Gedanken zur Einheit: Vieles war richtig und gut. Doch es wurden auch Chancen vertan. So ist die Deindustrialisierung nur halbherzig vollzogen worden. Blühende Landschaften, der Plan, das Land von Rügen bis zum Thüringer Wald, vom Harz bis zum Oderbruch mit dem Mähdrescher durchfahren zu können, ein ferner Traum. Ostdeutschland, der Kartoffelacker Europas? Noch längst nicht. Noch immer blinkt der Fernsehturm, der hässlich-obszöne Kommunistenphallus, über der Hauptstadt.

1,6 Billionen Euro hat man in die gierig aufgerissenen Ossi-Rachen geworfen. Zeit zurückzufordern. Der Ossi, jedoch, ist ein Lebemann, Faulpelz und Lump, da kann jede Matratze dreimal gewendet werden und doch fällt kein Groschen heraus. Mit lebenslanger Fronarbeit allerdings könnte er die Schuld begleichen. Weil aber ein Ossi-Leben kurz ist (die Gene, Gepökeltes, Spirituosen, hoher Fernsehkonsum, Asbest), dürften zu Recht auch seine Kinder und Enkel zur Verantwortung gezogen werden. 16 Millionen Leibeigene, zwanzig Jahre nach der Deutschen Einheit. Es wäre ein schöner Dank an den gebefreudigen Bruder West.

Wir stehen vor der Quadriga, die Stimmung ist auf ihrem Höhepunkt, da entdecken wir im Himmelblau darüber die zuckerwattige Spur eines Flugzeugs. »Wenn das die Sondermaschine aus Bremen ist, mit der Blockflötistin Merkel und dem gesamten Lumpenpack an Bord...« sinniert Roland, »ich würde das Scheißding abknallen.« »Frau Elster hat sicher noch eine alte Panzerfaust aus NVA-Beständen, vielleicht schenkt sie uns eine zur Einheit«, erwidere ich im Spaß. Plötzlich durchfährt uns der gleiche irrsinnige Gedanke. Die Tegeler Landebahn ist nicht weit, noch könnten wir es schaffen. Da reißt uns Jauch aus den Träumen. »Aber in der Maschine sitzt doch auch Kalle drin.« »Na und?« antwortet Roland frech. »Vielleicht spielt AC/DC auf der Beerdigung.« Schallendes Gelächter bricht aus, wir haben gescherzt. Nur bei Roland bin ich mir nicht so sicher.

Der satirische Tagebuchroman des konservativen Verschwörers erscheint jeweils in der Mittwochausgabe des ND. Die nächste Folge erwarten wir am 13. Oktober 2010.

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