Werbung

Schuldenstreichung statt Sozialabbau

Soziale Bewegungen und Gewerkschaften sollten zu effektiverem Widerstand finden

  • Alexis Passadakis
  • Lesedauer: 3 Min.
Unser Autor ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Koordinierungskreis von Attac.
Unser Autor ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Koordinierungskreis von Attac.

In bisher nicht bekanntem Maße streichen sozialdemokratische und konservative Regierungen in ganz Europa im Sozialbereich und kürzen Löhne im öffentlichen Dienst. Die Proteste von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sind vielfältig, haben es aber bisher kaum geschafft, die Schwelle zu tatsächlichem Widerstand zu überschreiten. Dies ist kein Wunder, denn mit dem Hinweis auf eine überbordende öffentliche Verschuldung haben die Regierungen einen argumentativen Hebel in der Hand, mit dem sie ihre Kürzungspolitik durchsetzen können.

Die Parole vom »wir haben über unsere Verhältnisse gelebt« verfängt besser, als ihre Schlichtheit vermuten lässt. Selbst bei Bevölkerungsgruppen, die weit unter dem Durchschnittseinkommen liegen. Zudem wird Protesten dadurch die Legitimation entzogen, dass Ratingagenturen die Bonitätsnoten von Staatsschuldpapieren senken und damit die Zinslast für die öffentliche Hand weiter in die Höhe treiben. So geschehen Ende September unmittelbar nach dem europäischen Aktionstag gegen die Kürzungspolitik und dem Generalstreik in Spanien, als Moody's dem Mittelmeerland die Bestnote aberkannte.

Schulden als Brechstange für Sozialabbau

Bereits im Laufe der 90er Jahre gab der Verweis auf öffentliche Verschuldung den Neoliberalen den Ansatzpunkt, um ihre Politik der Privatisierung von öffentlichen Dienstleitungen auf allen Ebenen zum Erfolg zu verhelfen. Die Banken und reiche Individuen sind daher in einer kommoden Situation. Sie setzen die öffentlichen Schulden als Brechstange zur Umgestaltung des Sozialstaates und der Wirtschaft in ihrem Interesse ein, während sie gleichzeitig über explizite oder implizite staatliche Garantien verfügen. Zu diesem Zwecke wurde schließlich, an den bisherigen EU-Regeln vorbei und ohne demokratische Kontrolle, der Rettungsfonds für Euroländer geschaffen.

In der Schuldenfalle sitzen daher die Gruppen, die sich für soziale Rechte einsetzen. Und sie werden es weiterhin, wenn sie sich lediglich defensiv gegen den Sozialabbau wehren. Stattdessen gilt es, die Legitimität der Schulden offensiv anzugehen. Denn in vielen Fällen sind die Schulden weder über Wirtschaftswachstum noch über Steuererhöhungen zum Verschwinden zu bringen.

Hilfreich sind hier die Erfahrungen, die im Laufe der letzten 25 Jahre bei den Kampagnen gegen die Schulden der Länder des Südens gemacht wurden. Schulden sind kein technisches Problem von Haushaltskonsolidierung, sondern sind eine politische Frage. Denn die gegenwärtige Schuldenökonomie ist ein Herrschaftsinstrument mit dem Ziel einer Umverteilung von unten nach oben. Schließlich sind Schulden der einen Seite immense Vermögen auf der anderen Seite: ohne Reichtum keine Schulden.

Zinsmoratorien als erster Schritt

Um dem galoppierenden Sozialabbau zu begegnen, ist es an der Zeit, dass soziale Bewegungen und Gewerkschaften eine neue Politik der Schuldenstreichung entwickeln. Sowohl um die Kommunen zu retten, als auch auf nationaler und europäischer Ebene offensive Forderungen stellen zu können. Sie würde auch dazu dienen, die Folgen der Weltwirtschaftskrise offen zu legen. Entsprechend den Forderungen der belgischen »Kampagne für die Streichung der Schulden der Dritten Welt« (CADTM) wären öffentliche Moratorien auf Zinszahlungen und Verzugszinsen dabei erste Schritte.

Im übrigen gab es bereits Erfolge in Europa in puncto Schuldenstreichungen: Die isländische Protestbewegung verhinderte die Rückzahlung von Schulden der Kaupthing-Bank aus dem öffentlichen Steuersäckel an ausländische Gläubiger. Wie jüngste Proteste auf der Insel im hohen Norden gezeigt haben, wird dies nicht der letzte Streich gewesen sein.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal