Werbung

Senioren auf der Schleuderpiste

Bei Fahrtrainings in Linthe das Bremsen auf verschiedenen Belägen lernen

  • Anja Sokolow, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Augen leuchten. Voller Vorfreude sitzt Stefan Kühnlein in seinem Wagen. Vor ihm eine regennasse Asphaltpiste, eine festgefahrene Schneedecke, eine Piste aus griffigem Beton und spiegelglattes Kopfsteinpflaster. Kühnlein entscheidet: »Ich nehme das Kopfsteinpflaster, das gibt es in Berlin am häufigsten.«

Auf Anweisung des Fahrtrainers gibt er Gas und tritt dann mit voller Kraft auf die Bremse. Beim ersten Mal kommt der Wagen gut zum Stehen. Auf dem Schneepistenimitat gerät er ins Schleudern. »Das macht Spaß!«, freut sich Kühnlein dennoch. »Hier kann man mal so richtig die Sau rauslassen – und das Ganze unter Anleitung.«

Der Berliner gehört zu 400 Frauen und Männern, die beim 4. Seniorentag »Mobilität 60plus« im ADAC-Fahrsicherheitszentrum in Linthe (Potsdam-Mittelmark) ihr Können testen. »Eigentlich sollten das alle tun. Jeder deutsche Autofahrer denkt, er sei der beste«, glaubt Kühnlein, der seit fast 50 Jahren seinen Führerschein hat. Auch er habe sich zunächst überschätzt.

Seit 2007 veranstaltet der ADAC Aktionen dieser Art. »Es geht vor allem um das Lenken, Bremsen und die richtige Blickführung auf unterschiedlichen Straßenbelägen«, erklärt Geschäftsführer Philipp Dressel. Obwohl ältere Menschen oft längere Reaktionszeiten und mehr Schwierigkeiten hätten, sich im Auto zu drehen, wolle der ADAC ihnen zeigen, dass sie keine Angst im Straßenverkehr haben müssen. Die Idee, Senioren ab 60 erneut zu Fahrprüfungen zu zwingen, hält er für »blödsinnig«.

Dafür, dass Trainings trotz jahrzehntelanger Routine nötig sind, sprechen Zahlen. 2009 gab es allein im Bereich des Polizeipräsidiums Potsdam rund 6100 Unfälle, an denen Senioren beteiligt waren. Das waren gut sechs Prozent mehr als im Vorjahr. In diesem Jahr soll sich der Anstieg fortgesetzt haben.

»Senioren sind nicht unbedingt Raser«, erklärt Frank Domanski, bei der Polizei für Prävention zuständig. Zu den Ursachen zählten eher ungenügender Abstand und Vorfahrtfehler, aber auch unangepasste Geschwindigkeit. »Manche Senioren sind in 30er Zonen auch schon mal mit 70 km/h unterwegs.« Die Motoren seien heutzutage kaum noch zu hören und so werde die Geschwindigkeit schnell unterschätzt.

Das Polizeiorchester sorgt für Unterhaltung. »Wir sind froh, dass wir Partner wie den ADAC haben«, sagt Domanski. Auch die Polizei versuche, mit eigenen Veranstaltungen aufzuklären. »Aber wir kommen einfach nicht so gut an die Leute heran. Die haben immer Angst, dass wir ihnen gleich den Führerschein entziehen.«

Davor muss in Linthe niemand Angst haben. Dennoch: Das, was sich auf den nassen Pisten abspielt, ist laut Trainer Jürgen Wenzel zum Teil »erschreckend«. »Viele Autofahrer trauen sich einfach nicht, mit aller Kraft zu bremsen. Sie wollen ihr Auto schonen«, so der Trainer, der einigen Fahrern auch schon mal technische Bremshilfen wie ABS und ESP erklären muss. Nach zwei, drei Versuchen klappe das Bremsen. Doch in ernsten Situationen habe man diese Versuche nicht.

Wenige Meter weiter, auf dem Geschicklichkeitsparcours, kommt der 72-jährige Wolfgang Stein-Seiler leicht ins Schwitzen. Das kleine Übungsauto ist neu für den Rentner. Er rangiert mehr als nötig. Die Mittsechzigerin Hannelore Manze nimmt auf dem Parcours einige Plastikkegel mit, das Bremsen meistert sie aber inzwischen bestens. Manze hält Fahrprüfungen für Senioren nur bedingt für sinnvoll: »Ab 70 ist das vielleicht gut. Aber mit 60 ist man einfach zu jung dafür.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal