nd-aktuell.de / 12.10.2010 / Gesund leben / Seite 19

Lebensrettung mit Risiken

Qualifizierung der Mitarbeiter sichert Erfolg der Strahlentherapie

Walter Willems
Die Strahlentherapie hat einen beispiellosen Aufschwung erlebt: In Deutschland verdoppelte sich die Zahl der bestrahlten Patienten in zehn Jahren. 90 Prozent der radiotherapeutischen Behandlungen richten sich gegen bösartige Tumore. Bundesweit erkranken jährlich rund 430 000 Menschen an Krebs. Mehr als die Hälfte von ihnen wird bestrahlt, pro Patient im Mittel 20 bis 30 Mal.

Die Strahlung soll das Erbgut der Tumorzellen so schädigen, dass das Krebsgewebe stirbt. Die Heilungsrate schätzt der Mannheimer Strahlentherapeut Frederik Wenz auf etwa 55 Prozent. »Die Radiotherapie ist die zweitwichtigste Säule der Krebsbehandlung«, betont Rita Engenhart-Cabillic, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO). »Nach der Operation, vor der Chemotherapie.«

Aber die Behandlung, die vielen Menschen das Leben rettet, birgt Risiken. Akute Nebenwirkungen wie Hautrötungen oder Spannungsgefühle verschwinden meist schnell. Langfristig kann die Strahlung empfindliches Gewebe vernarben lassen, etwa am Darm. »Die Therapie sollte so angelegt sein, dass maximal fünf Prozent der Patienten nach fünf Jahren chronische Probleme haben«, sagt Wenz. Im seltenen Fällen kann die Strahlung Krebs auslösen. Maximal ein bis zwei von 1000 erwachsenen Patienten, so Wenz, entwickeln solche Sekundärtumore. Bei Kindern und Jugendlichen liegt das Risiko etwas höher.

Gerade weil sich solche Folgen oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten zeigen, weiß niemand, wie oft sich Versehen in eine Therapie einschleichen. »Ich vermute, dass wir von der Hälfte der Fehler nicht erfahren, sagt Fred Mettler von der Universität von New Mexico, der Strahlenunfälle weltweit untersucht hat.

Aufsehen erregten in den vergangenen Jahrzehnten wenige Vorkommnisse – etwa in den 1980er Jahren bei Linearbeschleunigern vom Typ Therac-25 in Nordamerika. Weil Mitarbeiter vieler Kliniken auf fehlerhafte Software vertrauten, erhielten Patienten zu hohe Strahlenmengen, in drei Fällen mit tödlichen Folgen. Am Hamburger Uniklinikum Eppendorf wurden Ende der 1980er Jahre etwa 130 Patienten verstrahlt, eine Frau starb. Hier hatte der damalige Chefarzt eine unkonventionelle Therapieform gewählt. Nicht zuletzt wegen dieses Vorfalls sollen in Deutschland ein rigoroser Kontrollkatalog und regelmäßige Überprüfungen Fehler ausschließen. Für die meisten Karzinome gibt es Leitlinien zu Behandlung und Strahlendosis. Bestrahlungsgeräte müssen täglich gecheckt werden. Vor der Therapie prüfen Mediziner, ob das berechnete dreidimensionale Modell sich mit der Physiognomie des Patienten deckt. Solche Maßnahmen können das Fehlerrisiko möglichst senken, aber nicht sicher ausschließen. »Man kann das Risiko nie vollständig auf Null bekommen«, betont Wenz.

Bei einer Kontrolle aller 22 strahlentherapeutischen Abteilungen in Baden-Württemberg bescheinigten die Prüfer über 80 Prozent der Einrichtungen hohe bis sehr hohe Qualität. Aber an einigen Einrichtungen müsse die Nachbeobachtung besser werden. Gerade die Nachsorge ist essentiell: Die Untersuchungen helfen Spätschäden zu entdecken und liefern wichtige Hinweise zu Nutzen und Risiken eines Verfahrens.

Dass die Nachsorge mancherorts stiefmütterlich betrieben wird, erklären Experten mit der schlechten Bezahlung. Für Untersuchung und Dokumentation werden pauschal etwa 20 Euro berechnet. »Das Geld wird in der Bestrahlung verdient«, sagt Clemens Hess von der Uniklinik Göttingen. »Die Strahlentherapie lässt sich sogar mit Gewinn betreiben.«

Daher erwägen auch kleinere Krankenhäuser, Millionenbeträge in die Geräte zu investieren. Aber nicht jede Einrichtung, so der Experte, bilde das Personal so fort, wie es angesichts des rasanten technischen Fortschritts wünschenswert wäre. Dabei sei gerade die Investition in die Mitarbeiter wichtig. Dies veranschaulicht der Mediziner an einem Beispiel aus der Formel 1: »Es nützt nichts, einen Ferrari in der Garage stehen zu haben«, sagt Hess. »Man muss ihn auch fahren können.«