nd-aktuell.de / 25.10.2010 / Politik / Seite 13

Akt der Kulturentsorgung

In Halle wird um den Erhalt des Thalia gekämpft. Es ist eines der renommiertesten Kindertheater

Petra Buch, dpa

Mit spektakulären und sozialkritischen Inszenierungen hat das Thalia Theater Halle oft für ein volles Haus und Schlagzeilen gesorgt. Die Stadt will es nun schließen. Es hagelt Proteste und die Bühne gibt nicht auf.

Halle. Ob junge Hartz-IV-Empfänger, Fußball-Fans aus der gewaltbereiten »Ultra«-Szene oder Menschen, die »unten« waren und von »oben« träumen – das Thalia Theater in Halle hat mit außergewöhnlichen Inszenierungen oft für Zündstoff gesorgt. Die Kinder- und Jugendbühne gehört zu den ältesten und zugleich, so betonen es Kulturschaffende, zu den renommierten Bühnen ihrer Art in Deutschland. Gegen die nun von der Stadt Halle geplante Schließung des Hauses hagelt es Proteste. Weit mehr als 10 000 Unterschriften wurden bislang unter einen Protestbrief an Sachsen-Anhalts Kultusministerin Birgitta Wolff (CDU) gesetzt.

Eine Art Gnadenfrist

Die Unterzeichner fordern die Rücknahme des Beschlusses der Theater, Oper und Orchester GmbH vom 8. Oktober zur Schließung des Hauses. Der Aufsichtsrat der städtischen Gesellschaft unter Vorsitz von Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados (SPD) hatte diesen mit Sparzwängen der Stadt begründet, zugleich aber eine Art Gnadenfrist für das Aus der Bühne in Form eines Haustarifvertrages in Aussicht gestellt. Nach Angaben einer Sprecherin der Gesellschaft sollen die Verhandlungen mit den Gewerkschaften dazu am 2. November beginnen. Sollten diese scheitern, soll das Ensemble mit Ende der Spielzeit 2010/2011 im Sommer nächsten Jahres aufgelöst werden. Szabados erklärte, ihr persönlich sei diese Entscheidung des Aufsichtsrates sehr schwer gefallen. »Angesichts der Dramatik der Situation mussten wir jedoch diesen Schritt gehen, um nicht die gesamte Kultur-GmbH der Gefahr einer Insolvenz auszusetzen«, erklärte sie.

 Thalia-Intendantin Annegret Hahn will das nicht akzeptieren: »Wir wollen weitermachen, das Ensemble steht dazu.« Und: »Alle Welt redet darüber, wie wichtig Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche ist, und dann sollen wir ein Finanzloch schließen, das wir nicht verursacht haben.« Der Schließungsbeschluss sieht auch vor, dass als Alternative zum eigenständigen Theater andere Spielstätten in Halle Angebote für Kinder und Jugendliche machen sollen.

Direkte Hilfe vom Land Sachsen-Anhalt können die 51 Beschäftigten des Thalia Theaters, darunter 24 im künstlerischen Bereich, in ihrem Kampf gegen die Schließung der Bühne wohl nicht erwarten. Zwar vereinbarten Land, Stadt Halle sowie Theater, Oper und Orchester GmbH, die alle fünf Bühnen der Kommune vereint, im März 2009 die Höhe der Fördermittel. Das sind laut Ministerium für 2009 rund 12,9 Millionen Euro und für 2010 bis 2012 jährlich 11,9 Millionen Euro. Doch der Vertrag – so erklärte jedenfalls Ministerin Wolff – regelt nicht die finanzielle Förderung der einzelnen Häuser, sondern lediglich einzelner Sparten.

Klare Worte der Unterstützung für das Thalia Theater finden Kinder- und Jugendtheatermacher. »Das ist alles eine Katastrophe«, empörte sich Meike Fechner, Geschäftsführerin der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche in Deutschland (Frankfurt/Main), als sie vom Schließungsbeschluss erfuhr. Dies sei »ein Akt der Kulturentsorgung«, der in seiner Perfidie nicht hinnehmbar sei, heißt es in einem Offenen Brief des Central-theaters Leipzig. Anfang letzter Woche versammelten sich Theaterleute aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in der Messestadt, um gegen den staatlichen Sparkurs bei der Kultur zu protestieren.  

40 000 Zuschauer

Aus Sicht von Intendantin Hahn hat das Thalia mit seinem Spielplan, Projekten und der direkten Arbeit mit jungen Menschen auch in Problemvierteln und mit Randgruppen der Gesellschaft seinen Bildungsauftrag bisher »mehr als übererfüllt«. Rund 40 000 Menschen hätten die Inszenierungen allein 2009 besucht. Der Bedarf scheint jedenfalls da zu sein.