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Dienst an alten Bildern

Preis für Peter Stein

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Peter Stein, so wurde jetzt vermeldet, bekommt im kommenden Jahr in St. Petersburg den hochdotierten Europäischen Theaterpreis. Stein (Foto: dpa) inszenierte sehr lange Zeit nicht mehr in Deutschland – es war BE-Direktor Claus Peymann, dem vor einiger Zeit die Einflüsterung einer Rückkehr gelang.

Auf sehr hermetische Weise vollzieht Stein am Berliner Ensemble (mit ihm Klaus Maria Brandauer, von »Wallenstein« über den »Zerbrochnen Krug« bis jüngst zum »Ödipus«) eine textkultische Kunstausübung, die gegen das Rohe, Ruppige, Rüde heutiger szenischer Hinwürfe ihr stolzes Maß setzt, ihre streng fließende Ernsthaftigkeit. Theater eines Unbehelligten, der den Eigensinn des Theaters darin sieht, dass es seiner Natur nach nichts mit einem Fortschritt des Bewusstseins zu tun hat.

Stein und Brandauer gehen gleichsam ins alte Haus, öffnen die Tür ins Altertum und rücken die schiefgerüttelten schönen, traurigen Bilder wieder gerade. Sie treten zurück und schauen. Theater als Abstands-Kunde für uns modern Dahinschnurrende. Stein nimmt sich das Recht des Erfahrenen, einfach stehen zu bleiben, wo rundum alles röhrt und rast. Stehenbleiben ist hier nicht Atemnot, sondern Kultur, die seelenruhig erträgt, betulich oder altbacken oder honorig-seniorig genannt zu werden. Stein, das ist Rekonstruktion statt Revolte. Lieber im hohen, schleppenden, ziehenden, hehren Ton wacker bleiben, als mitzuwackeln im tauben Takt der Trümmertänzer.

Freilich hat das etwas Reaktionäres, aber jede Trauer ist reaktionär; sie nimmt den Verlust ernster und existenzieller als die Lust auf Neues. Stein möchte den Dichtern erinnernd entsprechen, nicht fordernd. Man könnte auch sagen, er kommt aus Zeiten, da die Menschen ihre Blicke demütig auf geschlossene, geheimnisvoll bleibende Tore der Kunst richteten – und so aber weit mehr erschauten als jene Gewalttätigen, die alles an Vorlagen raffend aufreißen, um zu bewältigen und zu besitzen und zu beherrschen. Das Dichterwerk wird von Stein inszeniert, damit es einen Rhythmus ausbilden kann, der in ihm ruht. Er sei mehr Germanist als Regisseur, sagt der 1937 Geborene gern, er käme vom Wort, nicht vom Körper. Man muss hören, wie er das sagt: nörgelnd tönende Abgeschlossenheit eines Selbsturteils, das mit aggressiver Arroganz alle Unsicherheiten und Lustigkeiten wegpanzert.

Er ist als Tschechow-Regisseur berühmt geworden, er prägte nach Jahren in Bremen und München Stil und Ruf der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz. Mit zarten Inszenierungen, in denen das Urteil über die Welt dem Wesentlichen wich: dem traurigen Beobachten von Menschen. Sein Theater ging den Achtundsechzigern voraus in die Resignation. Man darf auch das eine Form von Emanzipation nennen.

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