Vier bisher eher selten in Berlin gespielte eigene Stücke von »Two Fish« werden am 29. und 30. Oktober gezeigt, aber auch Produktionen von Mitstreitern und Kollegen werden in ein großes Jubiläums-Fest integriert. Als Vorspiel präsentierte die Gruppe bereits eine neue Version ihres legendären Stücks »Christiane Müller zieht um«. Das spielt in einer Wohnung und knüpft damit auch an die Wohngalerie-Tradition des alten Westberlin und den Untergrund des Prenzlauer Bergs der 80er Jahre an.
Indem die ursprünglich in einer Friedrichshainer Altbauwohnung erarbeitete Performance jetzt nach Wedding herüberwanderte, illustriert sie zudem die Veränderung im Kultstatus der Berliner Bezirke. Ist die zwischenzeitliche Hipmeile nördlich des Bahnhofs Warschauer Straße inzwischen fest in der Hand des innereuropäischen adoleszenten Sauftourismus, so kristallisiert sich Wedding immer mehr als Alternativkulturparcour heraus.
Das WG-Spektakel »Christiane Müller....« findet also weiterhin ihr zeitgemäßes Ambiente. Älter, reifer und präziser sind die Tänzer, die auch an der Originalversion beteiligt waren, inzwischen geworden. Die Bewegungen wirken gelassener und routinierter, weniger verspielt als anno 2003. Dennoch sind die Struktur des Stücks und die Sequenzen unverändert, versichert Martin Clausen, der gemeinsam mit Angela Schubot vor zehn Jahren Two Fish ins Leben rief und jetzt noch einmal in die eigene Geschichte eintauchen kann.
»Geändert hat sich, dass wir inzwischen noch mehr daran arbeiten, die Bewegung unter der Bewegung herauszuarbeiten«, meint Clausen und entwickelt eine Analogie zum Subtext im Theater. »Sub-Bewegung« müsste das dann im zeitgenössischen Tanz heißen. Ganz radikal demonstrierte diese Sub-Bewegungserforschung jüngst bei der Eröffnung der Uferstudios Angela Schubot in ihrem Duo »What They Are«. Sie und ihr Partner Jared Gradinger synchronisierten einen ganzen Abend lang ihren Atem und schöpften aus der Bewegung ihrer Lungenflügel und den Berührungen ihrer Körperteile eine komplette Choreografie. Was sie dabei lakonisch über Mann und Frau, über die Begegnung, den Kampf und auch die Verschmelzung der Geschlechter erzählten, weist auf eine besondere Qualität von Two Fish hin: Wer unter diesem Label operiert, erforscht nicht nur Bewegung, sondern hat auch Freude daran, das Publikum zu unterhalten.
Clausen und Schubot haben eine Berliner Schule der humorvollen Alltagsspiegelung im Tanz begründet. Schubot wirft dabei vor allem die Klasse ihrer Bewegungen, die sie bis in komische Höhen treibt, in die Waagschale – etwa, wenn sie sich in »Christiane Müller....« in einen Basketball verwandelt. Von Clausen, der immer stärker in die Performanceszene herübergewachsen ist, stammt die Lust am zwar ironisch wirkenden, aber am Staunen über die Welt geborenen Wort. »Wir sind neugierig. Wir stellen uns Fragen und diese Fragen rücken ins Zentrum der Arbeit«, beschreibt Clausen den Ansatz.
Zu sehen sind am Wochenende die Erforschung von Empathie und Widerstand (»Progressive Negative Capability«, 29.10., 20 Uhr, Schubot & Clausen), eine getanzte Drei-Männer-Konversation über das Verhältnis zum anderen Geschlecht (»Frau Malchert Se Dechaine«, 30.10., 21.30 Uhr, Clausen mit Felix Marchand und Peter Trabner), das ebenfalls in dieser Konstellation erarbeitete »Woran ich merke, was für ein Viech ich bin«, 29.10., 21.30 Uhr) und das Musik-Tanz-Verschmelzungsstück »Walking My Dragon« (30.10., 20 Uhr). Die hier eingeschlagene Kooperation mit der Rockband DISH zeigt für Clausen auch einen Weg in die Zukunft auf. »Irgendwann werden wir Two Fish sicher auflösen«, meint Clausen. Two Fish könnte zu One Dish werden. Doch bis dahin ist es noch Zeit. Bevor die nächsten Dekade angegangen wird, kann die vergangene erst einmal gefeiert werden – mit einer Truppe, die wesentlich zu Berlins Ruf als europäischer Tanzmetropole beigetragen hat.
10 Jahre Two Fish in den Uferstudios, 29./30.10. Uferstudios, Uferstr. 23, Tagestickets 18/12 Euro
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/182933.fische-im-wandel.html