nd-aktuell.de / 04.11.2010 / Kultur / Seite 15

Harris, der Patriot

HipHop & Integration

Oliver Marquart
Die Aufregung ist mancherorts groß. Deutschnationaler Rap? Ausgerechnet die Musik, die von den Bewohnern der US-amerikanischen Schwarzenghettos als Ventil ihrer Unzufriedenheit mit der weißen Mehrheitsgesellschaft erfunden wurde, soll nun plötzlich zur Verbreitung patriotischer deutscher Parolen herhalten?

Was ist passiert? Harris, Berliner Rapper mit dunkler Haut, hat einen Song gemacht, in dem er hier lebende Ausländer und Migranten dazu auffordert, Deutschland als ihre Heimat zu akzeptieren und zu respektieren. Das Lied »Nur ein Augenblick« dient der von der »Deutschland Stiftung Integration« initiierten Kampagne »Raus mit der Sprache. Rein ins Leben« als musikalische Begleitung. Oliver Harris, auf dessen muskulöse Brust das Wort »Deutschland« tätowiert ist, beteiligte sich an der Kampagne auch als Fotomodel: mit freiem Oberkörper und herausgestreckter schwarz-rot-goldener Zunge.

Dafür wird er von der Politik gelobt – von Teilen der Rap- und Kulturszene aber heftig kritisiert. Die Vorwürfe reichen von Anbiederung an einen vermeintlichen rechten Zeitgeist bis hin zur angeblichen Unterwanderung der Hip-Hop-Szene mit deutschtümelndem Gedankengut. Die rechte Postille »Junge Freiheit« indes fand durchaus Gefallen an »Nur ein Augenblick«, insbesondere an der Textzeile »Du sagst Deutsche sind scheiße, deutsche Frauen sind Dreck/ Tu' Deutschland bitte einen Gefallen und zieh' weg.«

Die deutsche Rapszene tut sich ausgesprochen schwer, Deutschland als einen nicht durch und durch negativ besetzten Begriff aufzufassen. Harris gefiel sich schon immer in der Rolle desjenigen, der gegen diesen Strom schwimmt. Seit einigen Jahren hat er eine Radioshow auf dem Berliner Sender Jam.FM namens »Der Patriot«, in der er ausschließlich deutschsprachigen Rap spielt. In Interviews propagiert er gern einen lockeren, aufgeklärten Patriotismus, der das etwas naive Bild eines mulitkulturellen, bunten Deutschland evoziert, das gemeinsam im Park grillt, koscher, halal, vegan oder Schweinewürstchen isst und Fußball-WM guckt – der »Jungen Freiheit« dürfte das weniger gefallen. Einen dumpfen Nationalstolz, gar einen Chauvinismus gegenüber anderen Ländern, kann man ihm kaum unterstellen.

Ein großer Teil der Aufregung dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass Raptexte meist nicht allzu differenziert formuliert werden. »Wenn du dich nicht als deutsch siehst, ist das einfach so/ Sei stolz auf deine Wurzeln, Brust raus und gerade gehen/ Du kannst hier aber nicht leben und alles schlecht reden« – das ist nun wirklich nicht der Duktus der Sarrazin-Apologeten, die einen rechtsverbindlichen Treueschwur zur deutschen »Leitkultur« fordern, sondern vielmehr eine väterliche Ermunterung, sich nicht freiwillig selbst ins gesellschaftliche Abseits zu stellen.

Was daran skandalös sein soll, bleibt fraglich. Die Erinnerung an die banale Tatsache, dass es in Deutschland nicht nur Rassismus, sondern auch Chancen auf Teilhabe und Selbstverwirklichung gibt, bereitet mitnichten den Boden für die Neurechten. Im Gegenteil, Harris steht, sowohl als Person als auch mit seinem Song, für deren Albtraum: eine multikulturelle, selbstbewusste deutsche Bevölkerung, die auch Unterschiede aushält, Meinungsverschiedenheiten friedlich löst und niemand aufgrund von Hautfarbe oder Glauben von vorherein ausschließt.