nd-aktuell.de / 05.11.2010 / Politik / Seite 6

Kosmetische Maßnahmen gegen Kriminelle

Brüsseler Spitzen

Cornelia Ernst
Die Europaabgeordnete (LINKE) begleitet die Verhandlungen zum Richtlinienentwurf als Mitglied des Ausschusses für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter.
Die Europaabgeordnete (LINKE) begleitet die Verhandlungen zum Richtlinienentwurf als Mitglied des Ausschusses für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter.

Die Europäische Kommission möchte alle Mitgliedsstaaten verpflichten, den Zugang zu und die Weiterverbreitung von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten zu blockieren. Die sogenannten Internetsperren sind Teil einer umfassenden Richtlinie zum Kindesschutz. Diese wird derzeit im Europäischen Parlament diskutiert. Wird der Entwurf beschlossen, muss die Bundesregierung umsetzen, was sie im März dieses Jahres noch ablehnte.

Kindesmissbrauch, dessen Darstellung und die Weiterverbreitung kinderpornografischer Inhalte sind schreckliche Verbrechen. Sie müssen weltweit effektiv und nachhaltig bekämpft werden. Dazu braucht es grundrechtskonforme Lösungen, die Ursachen bekämpfen und Verbrecher bestrafen.

Simples Sperren von Netzinhalten dient dem nicht. Das zeigen zum einen Erfahrungen in anderen Ländern. In finnischen Sperrlisten tauchten viele Server und Seiten auf, auf denen sich keinerlei kinderpornografische Inhalte befanden. In Schweden und Dänemark waren gesperrte Seiten zwar seit Jahren bekannt, wurde aber nicht von den Strafverfolgungsbehörden genutzt, um die Täter aufzuspüren und diese verbotenen Inhalte aus dem Netz zu entfernen.

Zum anderen müssten die Listen mit den gesperrten Inhalten veröffentlicht werden, um jeglichen Zensurverdacht auszuschließen. Betreiber einschlägiger Angebote könnten so automatisiert prüfen, ob ihre Webseiten auf einer Sperrliste und sie selbst im Fokus der Ermittler stehen. Gut gemeinte Internetsperren würden zum Frühwarnsystem für Kriminelle! Schließlich können Netzsperren relativ einfach umgangen, die Inhalte weiter genutzt werden.

Dies alles macht deutlich: Internetsperren sind eine »kosmetische« Maßnahme im Kampf gegen Kinderpornografie. Sie schaffen jedoch eine weitgehend unkontrollierte technische Zensurinfrastruktur, die beliebig auf andere Inhalte ausgeweitet werden könnte.

Bürgerrechtsorganisationen, aber auch die LINKE, plädieren daher für den Grundsatz: »Inhalte löschen und Täter strafrechtlich verfolgen statt Inhalte verstecken und Täter schützen.« Dass dies möglich ist, zeigt eine Studie der Universität Cambridge. Sie stellte fest, dass Webseiten für Finanzbetrug wesentlich schneller als kinderpornografische Seiten gelöscht werden. Während die Finanzbetrugsseiten im Durchschnitt nach 4,8 Stunden aus dem Netz genommen werden, dauert es bei Kinderpornografie in der Regel 30 Tage.

Die Ursache dieses »Vollzugsdefizites« offenbart eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN: Lächerliche 6,3 Stellen wurden beim Bundeskriminalamt zum Löschen von ausländischen Kinderporno-Seiten eingerichtet. Es gibt in Deutschland zu wenig Personal und eine unzureichende technische Ausstattung in den Strafverfolgungsbehörden. Ein ernst gemeinter Kampf gegen Kinderpornografie und deren Weiterverbreitung muss hier ansetzen. Zudem muss Deutschland dringend im Bereich der Prävention und beim Opferschutz den Anschluss an die internationale Spitze schaffen.